Strukturelle Defizite in der Dekubitusversorgung und rechtliche Konsequenzen

Ursachen für die Defizite in der Dekubitusversorgung und Lösungsansätze werden diskutiert. Vom Verhältnis zwischen Erstattungspreis und Leistunganforderungen über schnelle und potenzielle Patientenversorgung bis hin zum Wiedereinsatz von Hilfsmitteln.

Text: Patrick Kolb und Michael Schanz | Veröffentlicht in Rechtsdepesche Gesundheitswesen | Quellen siehe PDF der Veröffentlichung

2012 11 Defizite in der DekubitusversorgungDas Risiko, dass ein pflegebedürftiger Patient infolge von Immobilität und Bettlägerigkeit ein Dekubital- oder Druckgeschwür erleidet, gehört nach wie vor zu den größten Problemen der Pflege in Deutschland. Der im April 2012 veröffentlichte dritte Pflege-Qualitätsbericht des MDS und des GKV-Spitzenverbandes dokumentiert dies in beängstigender Weise. In der stationären Versorgung stellten die MDK-Prüfer bei 40,7 Prozent der untersuchten Heimbewohner Mängel und Versäumnisse bei Lagerungsmaßnahmen und dem Einsatz von Hilfsmitteln fest. In der ambulanten Versorgungssituation kamen ähnliche Ergebnisse zutage. Ein Drittel der Pflegebedürftigen, die von den MDK-Qualitätsprüfern in ihrer Wohnung besucht worden sind, wurde nicht mit den vereinbarten, standardgerechten Leistungen zur Vermeidung eines Druckgeschwürs versorgt.

Nach den umfangreichen Darstellungen der Prüfergebnisse hat sich in den letzten fünf Jahren in dem Versorgungsbereich der Dekubitusprophylaxe nichts zum Positiven verändert. Von den vier Millionen Menschen in Deutschland, die an chronischen Wunden leiden und für deren Versorgung jährlich vier Milliarden Euro aufgewendet werden müssen, weisen mehr als 750 000 Menschen einen Dekubitus auf. Nicht quantifizierbar sind das Leid, der Verlust an Lebensqualität, die Schmerzen und soziale Isolation der Patienten.

Weder mangelt es an medizinischen Erkenntnissen über die Entstehungszusammenhänge, Konzepten zur Prävention und Therapie eines Dekubitus oder einem Nationalen Expertenstandard zur Strukturierung der qualifizierten pflegerischen Leistungserbringung. Gleichwohl bewegen sich die Dekubitusraten – auch bei zurückhaltenden Schätzungen – in der Akut- und Langzeitversorgung auf hohem Niveau. Wenngleich die Entstehung eines Dekubitus nicht in ausnahmslos allen Fällen zu vermeiden ist, entspricht es mittlerweile dem anerkannten Stand der Wissenschaft in Medizin und Pflege, dass durch die sach- und fachgerechte Durchführung von Prophylaxemaßnahmen eine beträchtliche Senkung des Dekubitusrisikos erzielt werden kann.

Woran liegt es also, dass sich in einem der sensibelsten und folgekostenintensivsten Pflegebereiche nichts verändert? Wer trägt die Ver- antwortung, dass trotz eindeutiger gesetzlicher Leistungsgrundlagen Patienten nicht rechtzeitig, unzureichend oder mitunter überhaupt nicht versorgt werden und hieraus immense volkswirtschaftliche Schäden entstehen? Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich hieraus für die am Versorgungsprozess Beteiligten?

Ursachen

Pflegeverbände, wie beispielsweise der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Pflege-Fachexperten und Leistungserbringer nehmen übereinstimmend an, dass die Vertrags- und Preisgestaltung im Hilfsmittelsektor sowie das Genehmigungsverhalten der Krankenkassen bei den Antidekubitus-Hilfsmitteln eine wesentliche Ursache für die Versorgungsdefizite darstellen.

Eine besondere Verantwortung für die negativen Entwicklungen in der Versorgungslandschaft wird auch dem vom GKV-Spitzenverband vor fünf Jahren durchgesetzten und in Fachkreisen nach wie vor umstrittenen Zulassungsverfahren für druckentlastende Matratzen und Kissen zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis zugeschrieben. Seine Einführung markiert für viele Experten den Beginn eines Leistungs- und Qualitätsverfalls in der Produktgruppe 11 des Hilfsmittelverzeichnisses „Hilfsmittel gegen Dekubitus“.

Insgesamt beruhen die Ursachen für die Defizite in der Dekubitusversorgung auf einem Mix aus systembedingten und akteursbezogenen Faktoren, die den Markt für Medizinprodukte zur Dekubitusprophylaxe zunehmend schwieriger gestalten. Vermehrt rückt daher die Versorgung mit „Hilfsmitteln gegen Dekubitus“ in die kritische Auseinandersetzung der Fachöffentlichkeit. Hinterfragt wird unter anderem die gängige Ausschreibungspraxis der Krankenkassen, die sich in der Regel an dem am günstigsten angebotenen Preis als Entscheidungskriterium ausrichtet.

Verhältnis von Erstattungspreis und Leistungsanforderungen

Ausschreibungen der AOK Hessen, der AOK Schleswig Holstein oder der AOK Mecklenburg-Vorpommern sowie die Vertragsgestaltungen weiterer Krankenkassen haben zu Erstattungspreisen für die Versorgung eines Patienten mit einer Antidekubitus-Matratze von ca. 100,– Euro geführt.

Mit diesem Betrag muss der Leistungserbringer eine Bedarfsermittlung vor Ort durch eine Pflegefachkraft, die Matratze, die Abholung nach der Nutzung des Hilfsmittels, dessen hygienische Aufbereitung, die Gewährleistungen für die Qualität des Hilfsmittels im Versorgungszeitraum, die Dokumentation, das Antrags- und Abrechnungsverfahren sowie gegebenenfalls weitere Dienstleistungen finanzieren.  Auch besonders gefährdete Patienten, deren schwerwiegende Krankheitsbilder spezielle indikationsbedingte Anforderungen an die Antidekubitus-Matratzen stellen und die mit einem erhöhtem Versorgungs- und Nachbetreuungsaufwand behaftet sind, müssen mit Geldmitteln in dieser Höhe versorgt werden. Echte Qualitätskontrollen oder Evaluationen, ob der Versicherte unter diesen Bedingungen tatsächlich zweckmäßig versorgt werden kann und zu denen die Krankenkassen per Gesetz verpflichtet sind, finden in den meisten Fällen nicht statt.

Seriöse Minimalkostenkalkulationen bewerten die Versorgung eines dekubitusgefährdeten bzw. -geschädigten Patienten bereits ohne den Einsatz eines Produktes zu Kostengrößen mit einem Kostenvolumen zwischen 300,– und 400,– Euro. Aus juristischer Sicht stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Krankenkassen unter diesen Voraussetzungen davon ausgehen können, dass ihre Versicherten die gesetzlich geforderte Leistung – eine für den individuellen Patienten zweckmäßige Versorgung nach dem Stand der Technik – tatsächlich erhalten.

Klar ist, dass der gesetzgeberische Auftrag die Krankenkassen gem. § 12 SGB V zur Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet. Im Sinne der effizienten Ausgestaltung und der Stabilität des gesetzlichen Krankenversicherungssystems sind die Krankenkassen demnach aufgerufen, die Leistungen auf ein ausreichendes, zweckmäßiges und notwendiges Maß zu beschränken.

Wirtschaftlichkeit in diesem Sinne legt jedoch nicht um jeden Preis die Wahl der billigsten Leistungen nahe, vielmehr sollte diejenige mit der besten Kosten-Nutzen-Relation dem Versicherten zur Verfügung gestellt werden. Mit anderen Worten: Wirtschaftlichkeit ist dann gegeben, wenn Kosten und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Das bedeutet jedoch auch, dass die Krankenkassen bei den Auftragsvergaben darauf zu achten haben, dass die qualitativen und quantitativen Eignungskriterien der nachgefragten Leistung den marktüblichen Konditionen und Bedingungen entsprechen.

Die Wirtschaftlichkeitskriterien dürfen daher nicht einzig auf den Preis reduziert werden, sondern müssen mit dem gesamten Umfeld der auftrags- bezogenen Umstände angeglichen werden. Lässt die Krankenkasse dies außer Acht und erleidet der Versicherte in Folge des Einsatzes von ungeeigneten Hilfsmitteln einen Schaden, der aufgrund der Preisgestaltung vorhersehbar war, ist ein Mitverschulden der Krankenkasse in Betracht zu ziehen. Der bloße Verweis auf das preisgünstigste Angebot eines Leistungserbringers verspricht den Krankenkassen insoweit keinen hinreichenden Entlastungsbeitrag.

Belegt wird diese Ansicht durch eine aktuelle Aussage von Prof. Hans-Georg Will, Leiter des Referates Heil- und Hilfsmittel im Bundesgesundheitsministerium. Er betonte auf einem Expertenmeeting am 24. 5. 2012 in Berlin, dass die „Hauptverantwortung für eine ordnungsgemäße Umsetzung der Ansprüche der Versicherten bei den Krankenkassen liegt“. Weiter führte er an, dass mit dem Abschluss eines Vertrages die Verantwortung der Krankenkasse nicht aufhöre und sie zu Qualitätskontrollen verpflichtet seien. Besondere Vorsicht diesbezüglich sei vor allem bei Ausschreibungen geboten, denn: je niedriger der Preis, desto anfälliger die Qualität der Versorgung sowohl in punkto Produkt als auch in Sachen der Betreuung und Logistik.

Verhinderung einer rechtzeitigen Patientenversorgung

Die erste Aktualisierung des Expertenstandards für Dekubitusprophylaxe des Deutschen Netzwerkes für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) im Jahre 2010 sieht nunmehr für die Zurverfügungstellung von druckentlastenden Hilfsmitteln bei dem Eintritt einer Dekubitusgefährdung statt einer zwölfstündigen eine „unverzügliche“ Reaktionszeit vor. Die „Zeit“ ist neben der „Druckbelastung“ einer der wesentlichen Einflussfaktoren bei der Dekubitusentstehung.

Eine ohne schulhaftes Zögern vorgenommene Patientenversorgung wird jedoch bei vielen Krankenkassen bereits durch bürokratische Vorgaben ausgeschlossen. Einige Kostenträger verschleppen eine rasche Patientenversorgung, indem sie Antidekubitus-Hilfsmittel, die bereits ein Leistungserbringer für eine konkrete Versorgung angeboten hat, aufwendig über mehrere Tage auf einer elektronischen Bieterplattform ausschreiben. Wird das angebotene Hilfsmittel vom Krankenkassen-Sachbearbeiter überdies als zu kostenintensiv eingeschätzt, wird ein Hilfsmittelberater eingeschaltet und die Versorgung noch weiter hinausgezögert. Auch das in Produktgruppe 11 angewendete Kauf-Wiedereinsatz-Verfahren führt durch Lagerprüfungen, Transportwege und die nach Einsatztest häufig noch erforderlichen Instandsetzungen zu unzulässigen Zeitverzögerungen bei der Patientenversorgung.

Im Jahr 2005 hat das Münchener Fraunhofer-Institut im Rahmen der Studie „Pflege ohne Druck“, die im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen durchgeführt wurde, festgestellt, dass zwischen der Ausstellung einer ärztlichen Verordnung für eine Antidekubitus-Matratze und der Versorgung des Patienten im Durchschnitt 17,2 Tage vergehen. Der Eintritt eines körperlichen Schadens aufgrund von langen Wartezeiten auf ein Hilfsmittel erscheint hiernach zumindest als nicht unwahrscheinlich.

Die Beeinträchtigung durch eine verzögerte und Frist überschreitende Verordnung eines medizinischen Hilfsmittels kann auf dem Zivilrechtsweg als Schadensersatz geltend gemacht werden. Vorbehaltlich der im Patientenrechtegesetz geplanten Fristenregelung des § 13a SGB V-E würde die zulässige Reaktionszeit in einem Haftungsprozess aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen des streitgegenständlichen Fachgebietes, hier dem DNQP-Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe“, abgeleitet. Wird die fristüberschreitende Genehmigungspraxis positiv festgestellt, vermag dieses Versäumnis einen Erstattungsanspruch mit zu begründen.

Die Ausrichtung einer Urteilsbegründung an dem Zeitzusammenhang zwischen Verordnung und Versorgung ist den Zivilgerichten nicht fremd. Beispielsweise verpflichtete das LG Ellwangen in einer Entscheidung vom 13. 2. 2009 eine Krankenkasse zur Zahlung von Schmerzensgeld, weil die verspätete Versorgung mit einem Ersatz für eine nicht mehr passgenaue Stiftliner-Beinprothese als Amtspflichtverletzung angesehen worden ist (Az.: 3 O 97/08).

Missachtung des Grundsatzes der patientenindividuellen Versorgung

Sowohl der DNQP-Expertenstandard als auch die redaktionellen Erläuterungen des GKV-Spitzenverbandes im Hilfsmittelverzeichnis verweisen auf die patientenindividuelle Auswahl von Antidekubitus-Matratzen. Hierbei sind Grunderkrankungen, Fähigkeitsstörungen, Dekubitusrisiko, aktueller Schweregrad des Dekubitus, pflegerisches Umfeld und weitere Faktoren zu berücksichtigen.

Sogenannte Kontingentausschreibungen, bei denen Krankenkassen hunderte von Matratzen des gleichen Typs möglichst billig erwerben und dann bei Leistungserbringern zur weiteren Versorgung einlagern, widersprechen dieser fachlich unbestrittenen Forderung der bedarfsgerechten Versorgung. Sofern es bei der Matratzenversorgung nach dem Prinzip „Eine für alles“ zu Komplikationen kommt, schürt dies Zweifel an der Individualität des Versorgungsgeschehens und legt die Missachtung der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ gemäß § 276 Abs. 2 BGB nahe.

Minimalanforderungen bei der Zulassung von Antidekubitus-Hilfsmitteln durch den GKV-Spitzenverband

Nach den vom GKV-Spitzenverband definierten Anforderungen, erfüllt eine Matratze den Tatbestand der „Druckentlastung“ und damit die Voraussetzung für eine Hilfsmittelnummer-Erteilung schon dann, wenn sie bei einer gemessenen Gewichtsklasse einen besseren Wert als eine Standardmatratze erzielt; auch bei einer nur minimal positiven Abweichung von einem Prozent. In anderen Gewichtsklassen können sogar negative Werte erzielt werden und die Matratze damit für den Patienten schadhaft sein. Das Produkt erhält dennoch eine Zulassung für den Einsatz beim Patienten.

Entsprechende, aus den Testergebnissen resultierende notwendige Risikohinweise oder Einsatzbeschränkungen des Herstellers werden vom GKV-Spitzenverband nicht gefordert. Obwohl die Gebrauchsanweisungen der Hersteller ebenfalls Gegenstand der Prüfung im Rahmen des Zulassungsverfahrens sind, werden auch hier mangelhafte und widersprüchliche Aussagen zur Verwendung oder fehlende Hinweise auf Risiken nicht beanstandet.

Eine soeben fertig gestellte Datenanalyse hat ergeben, dass die Herstellervorgaben zum Wiedereinsatz bzw. zur hygienischen Aufbereitung von Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen trotz des identischem Grundmaterials „Schaumstoff“ extreme Unterschiede, Widersprüche und schließlich offensichtliche Verstöße gegen die Richtlinien des Robert Koch-Institutes (RKI) aufweisen. Obwohl die primäre Verantwortung für Produktaussagen beim Hersteller liegt, führen die Mängel im Zulassungsverfahren zur unzureichenden Information von Vertreibern und Anwendern mit der Folge, dass Matratzen bei Patienten zum Einsatz kommen können, die für ihn mit Risiken behaftet sind. 

Missachtung von Expertenwissen, Duldung irreführender Werbung

Nach einer missbräuchlichen Handhabung durch die Industrie wies Dr. Peter Diesing, Geschäftsführer von BerlinCert und Entwickler eines Testverfahrens für Antidekubitusmatratzen, dass vom GKV-Spitzenverband eingeführt wurde, bereits im Mai 2009 ausdrücklich darauf hin, das es nicht zulässig ist, aus den Testergebnissen die therapeutische Eignung der Matratzen für bestimmte Dekubitusgrade oder -kategorien abzuleiten. Der GKV-Spitzenverband veröffentlicht im Hilfsmittelverzeichnis dennoch nach wie vor die werblichen Aussagen der Hersteller über die Eignung für bestimmte Dekubituskategorien im direkten redaktionellen Kontext zu den Testergebnissen. Für den Anwender erweckt dies den Anschein, dass es sich nicht um Werbeaussagen des Herstellers, sondern um verifizierte Testergebnisse handelt.

Die Verknüpfung von Hilfsmittelnummer und Leistungsetikettierung im offiziellen Verzeichnis hat zur Fehlinformation von Leistungserbringern mit entsprechenden Risiken für die Patientenversorgung geführt. Trotz massiver Kritik am Testverfahren, den Warnhinweisen von Dr. Diesing, einem Preisverfall bei Antidekubitus-Versorgungen von bis zu 90 Prozent und der damit einhergehenden negativen Entwicklung in der Patientenversorgung hat der GKV- Spitzenverband ungeachtet seiner Pflicht zur Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses in den vergangenen fünf Jahren keine Überprüfung oder Evaluation des Testverfahrens durchgeführt.

Mangelndes Bewusstsein für die Risiken des Wiedereinsatzes

Nach Einführung des Testverfahrens zur Aufnahme von Produkten in das Hilfsmittelverzeichnis kam es zu einem drastischen Anstieg von Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen in der Dekubitusversorgung. Schaumstoff-Mat- ratzen, die sich in der Praxis und der bisherigen Definition des Hilfsmittelverzeichnisses als „nur für die Prophylaxe“ und „bei mittleren Patientenrisiken“ als geeignet erwiesen hatten, erzielten im Labor „gute Werte“. Auf Basis dieser Labortests wurden viele Schaumstoff-Matratzen von den Herstellern nun als uneingeschränkt und ohne Risiken einsetzbar erklärt.

Auch die Wiedereinsetzbarkeit von Schaumstoff-Matratzen nach Gebrauch wurde beworben und von Leistungserbringern und Krankenkassen entsprechend genutzt. Der Einfluss von Reinigungsverfahren auf das Schaumstoffmaterial und seine Druckentlastungseigenschaften steht in Theorie und Praxis allerdings im Streit. Die originären Schaumstoffproduzenten, die die Rohware an die Matratzenhersteller liefern, sprechen von starken Auswirkungen des Wiederaufbereitungsverfahrens auf die Produkteigenschaften. Gleichwohl wird in einem der problematischsten Pflegebereiche in Deutschland davon ausgegangen, dass ein Material wie Schaumstoff in seinen Eigenschaften unverändert bleibt.

Als von den Herstellern mit „Keine Wartung erforderlich“ etikettiert, finden nach dem Ersteinsatz während der gesamten Lebensdauer des Produktes keine Prüfungen der Druckwerte mehr statt. Aus den Wiedereinsatz-Lagern der Krankenkassen erhalten Patienten mit erheblichen Dekubitalgeschwüren mehrere Jahre alte Schaumstoff-Matratzen, bei denen man fahrlässig davon ausgeht, dass sie noch über die ursprünglichen Eigenschaften verfügen.

Eine solche Vorgehensweise wäre in anderen medizinischen Versorgungsbereichen undenkbar. Schließlich stehen gegen diese Praxis auch medizinprodukterechtliche Bedenken im Raum, da vor der Wiederaufbereitung und dem Wiedereinsatz eines Medizinproduktes zunächst zu klären ist, ob die Materialeigenschaften und die Konstruktion des Medizinproduktes überhaupt für den Wiederaufbereitungsprozess geeignet sind, ohne dass Schäden und Funktionsbeeinträchtigungen entstehen.

In Frankreich ist der Wiedereinsatz von Schaumstoff-Matratzen nach der Erstverwendung im häuslichen Bereich beispielsweise nicht zulässig. Da die Krankenkasse im Kauf-Wiedereinsatzverfahren als verantwortlicher Betreiber im Sinne des Medizinproduktegesetzes anzusehen ist, kann auch hier eine direkte Verpflichtung zur Erstattung von Patientenschäden in Betracht zu ziehen sein.

Fazit

Bei den skizzierten Punkten handelt es sich nur um eine Auswahl von Defiziten in der Dekubitusversorgung. Der gesamte Umgang und die Vorgehensweise der Beteiligten in diesem Versorgungsbereich birgt eine Fülle von Risiken für den Patienten. Abschließend drängt sich die Frage auf, ob das Leistungsverhalten vieler Beteiligter nicht nur gegen § 33 SGB V i. V. m. § 2 SGB V, sondern auch gegen Artikel 3 der Grundrechts-Charta der Europäischen Union verstößt: Dem Recht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit.