Stoppt Dekubitus und falsche Hilfsmittel-Mythen!

Anlässlich des weltweiten Stoppt-Dekubitus-Aktionstages rufen wir dazu auf, Dekubitus rechtzeitig vorzubeugen und die größten Mythen in der Hilfsmittelversorgung zu überwinden.

Jedes Jahr im November rufen medizinische Fachorganisationen weltweit dazu auf, die Entstehung der chronischen Wunde „Dekubitus“ zu bekämpfen. Als Spezialist im Dekubitusmanagement ist es Carenetic auch anlässlich des „Stoppt Dekubitus Aktionstag 2021“ ein wichtiges Anliegen, Patienten, Pflegende und Fachkreise über Defizite in der Dekubitusprävention zu informieren und zum Dialog über wirksame Strategien und Maßnahmen zur Vermeidung der Diagnose „Dekubitus“ aufzurufen.

Ein Dekubitus bedeutet enormes physisches und psychisches Leid für Betroffene und pflegende Angehörige. Die schmerzhaften Druckgeschwüre beeinträchtigen die Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Sie führen zu Mobilitätsverlust, Behinderungen und im schlimmsten Fall zum Tod. Die Heilung dieser Wunden ist langwierig, aufwendig und kostenintensiv. Der Entstehung von Dekubitus muss entschieden vorgebeugt werden! In Deutschland leiden schätzungsweise 600.000 Menschen unter der vermeidbaren Diagnose. Die Zahl der Betroffenen hat sich in den letzten 12 Jahren nahezu verdoppelt. Für die Behandlung von Druckgeschwüren wendet das Gesundheitswesen jährlich mehr als 2,5 Milliarden Euro auf.

Helfen Sie, Dekubitus rechtzeitig zu vermeiden!

Zu den wichtigsten Maßnahmen zur Vorbeugung und Therapie von Dekubitus gehören neben der Beratung und Schulung von Patienten und Angehörigen auch Bewegungsförderung und bedarfsgerechte Umlagerung bei Mobilitätseinschränkungen sowie sogenannte „Hilfsmittel gegen Dekubitus“, wie spezielle Matratzen, Sitzkissen, Lagerungskissen und Transferhilfen.

Aufgrund unterschiedlicher Pflege- und Krankheitssituationen in der Praxis kann keine einheitliche Empfehlung zum Einsatz bestimmter Hilfsmittel gegeben werden. Stattdessen müssen Hilfsmittel gegen Dekubitus immer individuell und bedarfsgerecht ausgewählt werden. Dazu muss eine Gesamtbetrachtung der vorliegenden Grunderkrankungen, der Fähigkeitsstörungen und deren Auswirkungen auf die Mobilität, der bestehenden Hautschäden, der begleitenden Therapieziele, der Patientencompliance sowie des pflegerischen Umfeldes erfolgen. Die Bedarfserhebung, Beratung und Versorgung von Hilfsmitteln gegen Dekubitus stellen daher hohe fachliche Anforderungen an die Beteiligten.

Die Auswahl von Antidekubitus-Hilfsmitteln wird durch falsche oder fehlende Informationen beeinflusst

Bei der Pflege von Menschen mit Dekubitusrisiko kursieren zunehmend falsche Informationen über Hilfsmittel, die dem Pflegebedürftigen häufig mehr schaden als nutzen. Zu den wichtigsten Ursachen dieser Fehlinformationen und der hieraus folgenden besorgniserregenden Verschlechterung der Hilfsmittelversorgung zählen:

  • Unlautere Werbebotschaften von Herstellern, die Einzug in Schulungen von Pflegepersonal gehalten haben
  • Wissenslücken über Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge bei der Dekubitusentstehung
  • Wissenslücken über Wirkprinzipien und Anwendungsgrenzen von Hilfsmitteln
  • Einfache, allgemeine Lösungen in der Pflegepraxis anstelle intensiver Beschäftigung mit dem wichtigen Pflegethema „Dekubitus“
  • Falsche Aussagen des MDK oder der Heimaufsicht bei Pflegeheimbegehungen, die Verantwortliche in den Einrichtungen verunsichern oder beeinflussen

Wir wollen mit solchen Falschinformationen aufräumen und einige der größten Mythen in der Hilfsmittelversorgung klarstellen.

 

Die größten Hilfsmittel-Mythen

 

Weichlagerung oder Wechseldruck?

Oft wird die Auswahl von Antidekubitusmatratzen auf die Frage „Schaumstoff-Weichlagerung- oder Wechseldruckmatratze?“ reduziert. Dieses Schwarz-Weiß-Denken ist aus zwei Gründen fachlich nicht haltbar. Zum einen gibt es in beiden Hilfsmittelkategorien eine große Bandbreite von Produkten mit unterschiedlichen Leistungsmerkmalen und Gütequalitäten. Einfachste Schaumstoffmatratzen sichern oft die Marge des Händlers können aber keine nachhaltige Druckreduzierung leisten. Standardwechseldruckmatratzen können zu Nebenwirkungen führen, während es wirkungsvolle Matratzensysteme gibt, die sanft ohne Reizeinwirkung auf den Patienten funktionieren. Darüber hinaus gibt es wirkungsvolle Matratzenarten, die keine der beiden Kategorien zuzuordnen, in der Pflege aber nicht bekannt sind.

Es gibt verschiedenste Antidekubitus-Matratzen mit unterschiedlichen Funktionsweisen. Welche passend ist, hängt vom Patientenbedarf ab. Auf Qualität sollte Wert gelegt werden!

Die Matratze ist einsetzbar bis Dekubitusgrad IV

Die Leistungszuordnung von Matratzen zu Dekubitusgraden gehört nach wie vor zum größten Aberglauben in der Hilfsmittelversorgung. Die Angabe von Dekubitusgraden ist immer schon ein reines Werbeinstrument der Hersteller gewesen, von dem sich Krankenkassen, Fachhändler und Pflegekräfte auch heute noch in die Irre führen lassen. Für solche Aussagen, die renommierte Fachgesellschaften wie die „EPUAP“ heftig kritisieren, gibt es keinerlei empirische Grundlage. Es existieren weder Tests noch seriöse Studien, die eine therapeutische Eignung einer Matratze bei einem bestimmten Dekubitusgrad nachweisen. Ob ein Hilfsmittel präventive Wirkung entfalten oder die Therapie eines Dekubitus unterstützen kann, hängt von der individuellen Versorgungssituation ab und kann nicht verallgemeinert werden.

Die Auswahl des Hilfsmittels erfolgt nach Patientenbedarf, Versorgungsituation und Risiko, nicht nach Grad des Dekubitus!

Auf Wechseldruckmatratzen muss man nicht mehr lagern

Leider trifft man in der Praxis immer noch häufig auf diese fahrlässige, patientengefährdende Aussage. Eine Antidekubitusmatratze kann in einer Pflegesituation den Druck auf die Haut des Patienten reduzieren und abhängig von dessen Risiko das Lagerungsintervall zeitlich verlängern. Es besteht aber bei jeder Matratze ein Auflagedruck, weshalb das Gewebe durch Umpositionierung nach einem zeitlich festzulegenden Intervall entlastet werden muss.

Die richtige Antidekubitus-Matratze kann das Lagerungsintervall zeitlich verlängern, die Lagerung aber nicht vollständig ersetzen!

Schwindel und Verlust des Körperschemas

Nach diesem Mythos darf man bei Erkrankungen wie Demenz nur Weichlagerungsmatratzen einsetzen, auf Wechseldruck- Matratzen verliert der Patient das Körperschema und Luftgesteuerte Matratzen lösen Schwindel aus…..

Diese und andere allgemeine Aussagen haben ihren Ursprung im aggressiven Wettbewerb zwischen konkurrierenden Herstellern von Antidekubitus-Matratzen. Keiner dieser Aussagen wurde je wissenschaftlich untersucht. Ebenso finden sich in der seriösen Fachliteratur keine Hinweise auf diese Zusammenhänge. In der pflegewissenschaftlichen Literatur werden die Thesen „Verlust des Körperschemas oder Reizarmut bei Demenz“ beispielsweise mit dem Einsinken in weichen Schaum in Verbindung gebracht. Entscheidend für die Eignung einer Matratze ist, dass ihr Wirkprinzip bzw. ihre Technologie der Druckreduzierung dem vorliegenden Dekubitusrisiko entspricht und der Patient die Matratze akzeptiert und toleriert.

Solche Nebenwirkungen sind wissenschaftlich nicht belegt. Wichtig ist, dass der Patient die Matratze toleriert und diese den Zweck der Druckentlastung bestmöglich erfüllt.

Sie haben sich bereits gut informiert, stoßen allerdings beim Thema Dekubitus immer wieder auf falsche Behauptungen?

Hier sind noch ein paar Empfehlungen zum Schutz gegen Mythen, Märchen und Legenden:

Investieren Sie in neutrale, unabhängige Fachschulungen.
Bilden Sie einen Dekubitus-Fachexperten in Ihrer Einrichtung aus, der alle Pflegenden auf dem neuesten Kenntnisstand halten kann. Ein Mitarbeiter mit Kompetenz in diesem wichtigen Pflegethema, kann sich fachlich mit Sanitätshäusern, Krankenkassen, MDK und Heimaufsicht auseinandersetzen und dadurch eine bedarfsgerechte Versorgung der Patienten bzw. Bewohner sichern.
Vermeiden Sie eine fahrlässige Vereinheitlichung der Hilfsmittelversorgung in Ihrer Einrichtung und lassen Sie eine bewohner-individuelle Auswahl zu. Gehen Sie objektiv an die Frage heran, welche Matratze für Ihren Bewohner geeignet ist.
Seien Sie kritisch gegenüber einfachen Werbeaussagen und bei der Beurteilung von Produkten.
Stimmen Sie die richtige Versorgung für Ihren Bewohner auf Basis der ärztlichen Verordnung und der sorgfältigen Abwägung von Therapiezielen mit dem Fachhandelsunternehmen ab.

Investieren Sie Zeit in das wichtige Pflegethema „Dekubitus“. Nicht ohne Grund wurde der erste DNQP-Expertenstandard zum Thema „Dekubitus“ veröffentlicht. Der hieraus geschuldete Pflegestandard darf nicht an möglicherweise fehlenden Ressourcen gemessen werden, sondern am berechtigten Interesse des Patienten, seine körperliche Integrität und Unversehrtheit zu erhalten.