EPUAP, NPUAP und PPPIA veröffentlichen 2. Auflage der International Pressure Ulcer Guidelines

European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP), National Pressure Ulcer Advisory Panel (NPUAP) und Pan Pacific Pressure Injury Alliance (PPPIA) veröffentlichen die neue Auflage der Internationalen Dekubitus-Leitlinien.

NPUAP-EPUAP-PPPIA-Quick-Reference-Guide-2014-DIGITALDruckexemplare der derzeit nur in englischer Sprache vorliegenden Leitlinien können über den EPUAP-Online-Shop bestellt werden. Käufer aus Europa erhalten einen Preisnachlass, wenn sie bei der Bestellung den Code „EPUAP“ angeben.

Über die Internetseite des EPUAP kann eine PDF der englischsprachigen Version als Download abgerufen werden.

Wir haben unter „Unser Kommentar“ die aus unserer Sicht wichtigste Änderung bzw. Ergänzung in Bezug auf den Einsatz von Liegesystemen für Sie zusammengefasst und mit unsern Anmerkungen versehen. Bitte beachten Sie, dass es sich auch bei den Auszügen um unsere freie Übersetzung, nicht um eine von EPUAP, NPUAP und PPPIA autorisierte handelt.

Unser Kommentar

Während es 2009 in vielen Sprachen zwei getrennte Quick Reference Guides für die Prophylaxe und Therapie von Dekubitus, auf Deutsch gar nur eine Kurzanleitung „Leitlinie Dekubitus Prävention“ gab, beschäftigt sich der neue Quick Reference Guide gleichermaßen mit Prophylaxe und Therapie. Eine aus unserer Sicht gute Entscheidung, sind doch viele Aspekte in der Versorgung von Patienten mit Dekubitusrisiko oder bestehendem Dekubitus ähnlich.

Auswahl eines Liegesystems

Auch in der neuen Leitlinie wird die Bedeutung patientenindividueller Faktoren für die Auswahl eines Liegesystems hervorgehoben. EPUAP, NPUAP und PPPIA machen die Wahl des Wirkprinzips abhängig

  • vom Dekubitusrisiko des Pflegebedürftigen,
  • von seiner Fähigkeit zu Eigenbewegungen und
  • der Möglichkeit aktivitäts- und mobilitätsfördernder Maßnahmen sowie unterstützender Positionsänderungen.

Sie leiten aus diesen Überlegungen folgende Empfehlungen für die Auswahl von Wirkprinzipien und den Einsatz von Liegesystemen ab:

Dekubitusprophylaxe

  • Pflegebedürftige mit einem Dekubitusrisiko sollen auf speziellen Weichlagerungsmatratzen aus Schaumstoff statt auf Standardmatratzen liegen.
  • Bei Pflegebedürftigen mit einem erhöhten Dekubitusrisiko, bei denen eine häufige manuelle Umlagerung nicht möglich ist, sollen Wechseldrucksysteme mit Luftkammern/-zellen > 10 cm Durchmesser eingesetzt werden.

Doch wann liegt bei einem Pflegebedürftigen ein erhöhtes Dekubitusrisiko vor? Wann bzw. bei welchen Pflegebedürftigen sind manuelle Umlagerungen nicht möglich? 

Fragen, die in der Praxis nicht leicht zu beantworten sind. Oft werden wir in unserer täglichen Arbeit mit vorschnellen Einschätzungen konfrontiert. Ist doch bei der Einschätzung des Dekubitusrisikos und der Möglichkeit manueller Umlagerungen nicht nur die gesundheitliche Situation des Pflegebedürftigen zu beachten. Gerade bei ambulant gepflegten Betroffenen, die theoretisch regelmäßig umgelagert werden könnten, sind Umlagerungen und Positionsänderungen oft nicht in ausreichendem Maße möglich.

In den einschlägigen Leitlinien und im Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege des DNQP wird evidenzbasiert festgestellt, dass bei Einsatz einer speziellen Weichlagerungsmatratze ein Lagerungsintervall von ca. vier Stunden die gleichen Ergebnisse liefert wie die zweistündliche Lagerung auf einer Standardmatratze. Und dass die Weichlagerung kein Ersatz für regelmäßige Positionsänderungen ist.

Kommt der ambulante Pflegedienst vier Mal in 24 Stunden und kann kein Angehöriger, keine Bezugsperson die regelmäßigen Umlagerungen übernehmen,  sind sie praktisch nicht möglich. Es besteht ein erhöhtes Dekubitusrisiko, der Einsatz energetischer Systeme, ob sie nun Wechseldruck-, Hybrid-System oder wie auch immer heißen, ist erforderlich.

Dekubitustherapie

  • Bei Dekubitus Grad I und II (EPUAP/NPUAP) sollen spezielle Schaumstoffmatratzen oder andere, unmotorisierte Weichlagerungssysteme eingesetzt werden.
  • Dekubitus Grad III und IV (EPUAP/NPUAP) sowie nicht klassifizierbare Dekubitus erfordern laut Leitlinie den Einsatz von Liegesystemen mit besonders hoher Druckverteilung und Scherkraftreduzierung sowie besonders guten mikroklimatischen Bedingungen.

Auch hier werden die patientenindividuellen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die unter Dekubitusprophylaxe beschriebene praktische Umsetzbarkeit regelmäßiger Umlagerungen und Positionsänderungen außen vor gelassen. Außerdem stellen sich uns als Auswählende und Anwender von Liegesystemen die Fragen:

Wie definieren EPUAP, NPUAP und PPPIA eine „besonders hohe Druckverteilung und Scherkraftreduzierung“? Welchen Einfluss haben welche Produkteigenschaften von Liegesystemen tatsächlich auf die mikroklimatischen Bedingungen im Bett?

Bisher ist es Wissenschaft und Technik noch nicht gelungen, ein aussagekräftiges Verfahren für die Bestimmung der Druckverteilung von Liegesystemen zu entwickeln. Die derzeit verwendeten Labortests können nur Anhaltspunkte dafür liefern, wie hoch oder niedrig die Druckverteilung bei einer Schaumstoffmatratze unter Laborbedingungen, mit standardisierten Messkörpern und Belastungen ist. Getestet werden wenn überhaupt fabrikneue Matratzen. Aufschlüsse über die Druckverteilung nach längerem Einsatz und häufigen Aufbereitungen liefern sie nicht. Zu viele individuelle, von den reinen Material- und Verarbeitungseigenschaften unabhängige Faktoren beeinflussen den Alterungsprozess von Schaumstoff und Schutzbezug.

Regelmäßig werden bei Labortest-Ergebnissen Äpfel mit Birnen verglichen. Die bisher etablierten Druckentlastungs- und -verteilungsmessungen eignen sich bedingt für die Ermittlung von Werten für Schaumstoffmatratzen. Mit dem gleichen Testverfahren ermittelte Werte für energetische Systeme können nur schlechter sein, da sie aufgrund der Bauart und des Wirkprinzips dieser Systeme keine relevanten Informationen liefern.

Abgesehen davon ist eine hohe Druckverteilung nicht das Maß aller Dinge in der Dekubitusprophylaxe und Dekubitustherapie. Wie an anderer Stelle von EPUAP, NPUAP und PPPIA betont und auch im Expertenstandard gefordert wird, kommt die größte Bedeutung dem Erhalt und der Förderung von Eigenbewegungen und Mobilität zu. Die höchste Druckverteilung erreichen Sie im Labortest und in der Praxis ganz sicher mit einer super-weichen Matratze. Eigenbewegungen zu erhalten und Mobilität zu fördern ist bei deren Einsatz aber nur stark eingeschränkt, wenn nicht gar praktisch unmöglich.

Dekubitus werden durch Druck oder Druck in Kombination mit Scherkräften verursacht. Der Wunsch nach Systemen mit einer hohen Scherkraftreduzierung ist daher nicht nur in der Therapie von Dekubitus Grad III und IV ein wichtiges Ansinnen der Pflege. Doch auch hier hat die Medaille zwei Seiten: Besonders glatte Schutzbezüge reduzieren Scherkräfte nur auf den ersten Blick.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich schnell, dass Betroffene auf glatten Schutzbezügen nicht nur aber vor allem bei aufgestelltem Kopfteil leichter und damit auch häufiger zum Fußende rutschen. Im Expertenstandard Dekubitusprophylaxe des DNQP heißt es dazu „Besonders das Herunterrutschen der Patienten/Bewohner aber auch das Hochziehen der Patienten/Bewohner im Bett oder Stuhl durch die Pflegefachkraft sind zu vermeiden, da dadurch massive Reibungs- und Scherkräfte auf die Haut und das darunter liegende Gewebe einwirken.“

Ganz abgesehen davon, dass das Ziehen von Pflegebedürftigen im Bett oder Stuhl nichts mit einer schonenden, aktivierenden Pflege zu tun hat und glatte Schutzbezüge einen großen Teil der Bewegungsenergie des Pflegebedürftigen rauben. Die dann an anderer Stelle, zum Beispiel für Eigenbewegungen oder bei der aktivierenden Unterstützung von Transfers fehlt.

Im Hinblick auf die mikroklimatischen Bedingungen im Bett stellt sich die Frage, was „besonders gute mikroklimatische Bedingungen“ sind und welchen Beitrag das Liegesystem leistet bzw. überhaupt leisten kann. In der Praxis ist oft ein Austausch von Bettzeug und -wäsche gegen „luftigere“ Materialien und häufigeres Lüften wirkungsvoller als ein Liegesystem mit sogenannter aktiver Belüftung.

Eine autorisierte deutsche Übersetzung der neuen Auflage der International Pressure Ulcer Guidelines von EPUAP, NPUAP und PPPIA ist bis jetzt (Stand Anfang Mai 2015) leider noch nicht verfügbar. Sobald wir Informationen dazu bekommen, berichten wir.