Entscheidungshilfe für die Antidekubitus-Matratzenwahl

In dieser Broschüre des QVH (Qualitätsverbund Hilfsmittel e. V.)  wird sich mit dem Thema Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen auf eine sehr informative, kritische Art und Weise auseinander gesetzt. Die Informationen sind für Ärzte, Pflegekräfte sowie pflegende Angehörige gleichermaßen von großem Interesse!

Eine für alle(s)?

Was Sie vor der Entscheidung für eine Schaumstoff-Weichlagerungsmatratze in der Dekubitusprophylaxe und -therapie bedenken sollten.

Lebensqualität und Gesundheit eines Bettlägerigen, sei er Ihr Patient, Bewohner oder Angehöriger, werden durch Ihre Kompetenz und Ihre Mitwirkung bei der Auswahl einer Antidekubitus-Matratze maßgeblich beeinflusst. Im Interesse der Menschen und der Qualität Ihres Pflegeangebotes sollten Sie die Leistungsfähigkeit der auf dem Markt beworbenen Produkte daher vor einem Einsatz einer genauen Prüfung unterziehen.


Gerade Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen sind gegenwärtig ein sehr verbreitetes Hilfsmittel in der Dekubitusprophylaxe und -therapie. Oft werden sie von Herstellern und Sanitätsfachhändlern als Allroundmittel beworben und in Pflegeeinrichtungen pauschal und undifferenziert eingesetzt. In einem von Preiskämpfen dominierten Gesundheitssystem erscheinen sie auf den ersten Blick als Siegerin. Niedrigste Preise und das Versprechen von Wartungsfreiheit und störungsfreiem Dauereinsatz für ein breites Spektrum von Patienten und Krankheitsbildern lassen sie als attraktives Produkt dastehen. Doch wie alle anderen Produkte unterliegen auch Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen den Gesetzen des Marktes und somit des Marketings. Wer die Erwartung hat, dass alle Anbieter in einem so sensiblen Gesundheitsthema besonders verantwortungsvoll mit Werbebotschaften umgehen, wird enttäuscht. Nicht alles, was versprochen wird, kann im Patienteneinsatz auch gehalten werden.

Für bettlägerige Patienten und Bewohner von stationären Einrichtungen und Krankenhäusern ebenso wie im ambulanten Pflegebereich kann es daher zu gesundheitsgefährdenden Situationen kommen, wenn Werbeversprechen und Produktinformationen nicht kritisch von Ihnen hinterfragt werden.

Der vorliegende Flyer möchte auf Gefahren beim unreflektierten Einsatz von Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen in der Dekubitusversorgung hinweisen und für die Aussagekraft von Werbebotschaften sensibilisieren. Er soll Sie dabei unterstützen, grundlegende Fragen zur Qualität und Eignung eines Produktes zu stellen und so eine erste Orientierung bei der Entscheidungsfindung für das richtige Hilfsmittel geben.

Versorgung nach Expertenstandard

Auch wenn sich das Erscheinungsbild oft ähnelt: Die Menschen, für die Sie druckentlastende Matratzen anfordern, sind unterschiedlich – in ihrer Aktivitäts- und Mobilitätssituation, ihren Fähigkeitsstörungen, ihrem ermittelten Dekubitusrisiko, ihrem Krankheitsverlauf und ihrem pflegerischen Umfeld. Zudem können sich diese Faktoren im Krankheitsverlauf täglich ändern. Wie im aktualisierten „Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ hervorgehoben wird, müssen bei der Auswahl der richtigen Antidekubitus-Matratze alle diese individuellen Faktoren erhoben und einzelfallbezogene Prioritäten gesetzt werden. Nur so kann die beste Entscheidung für den Patienten getroffen werden.

Ausgewählte Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen können im geprüften Einzelfall für bestimmte Zeiträume durchaus die richtige Entscheidung für einen Patienten sein. Sie ohne Einzelfallerhebung und ohne Prüfung der Seriosität der Ihnen vorliegenden Informationen  flächendeckend einzusetzen, wird der Verantwortung in der Pflege aber nicht gerecht.

Eine heute ausgewählte Schaumstoff-Matratze kann sich nach einer Veränderung der Krankheits- und Pflegesituation schon nach wenigen Tagen als ungeeignet erweisen.

Dann muss neu entschieden und schnell gehandelt werden. Die Folgen eines unpassenden Hilfsmittels gefährden die Gesundheit und Lebensqualität Ihres Patienten, verursachen hohe Folgekosten und schaden letztlich auch Ihrer Position vor Ort. Ermöglichen Sie deshalb individuelle Angebote für individuelle Menschen. Sparen Sie am falschen Ende Zeit und Geld, zahlt Ihr Patient einen hohen Preis!

DekubPflegerin hält Hand von Patientinitus lässt sich vermeiden

Die Entstehung eines Dekubitus ist auf viele Faktoren zurückzuführen. Wie sie genau zusammen spielen, wird noch immer erforscht. Sicher ist: Immobilität, der dadurch entstehende Druck auf einzelne Körperstellen und die Unterversorgung des Gewebes sind Voraussetzungen für die Entstehung eines Dekubitalgeschwüres. Es gibt extreme Pflegesituationen, wie Notfallversorgungen oder Sterbephasen, in denen die Dekubitusversorgung hinter andere Therapieziele zurücktreten muss. Doch gilt: Wenn vorbeugende Maßnahmen konsequent und ganzheitlich erfolgen, lässt sich ein Dekubitus fast immer verhindern oder die Heilung mit den passenden Hilfsmitteln maßgeblich unterstützen. Helfen Sie dabei!

Eine Welt von 90 mal 200 cm

Bedenken Sie, dass die Matratze, die Sie erwerben oder erhalten, für den bettlägerigen Menschen seine Umwelt bedeutet – bis zu 24 Stunden am Tag! Für den Patienten oder Bewohner muss eine Schaumstoff-Weichlagerungsmatratze nicht nur unter medizinischen Gesichtspunkten funktionieren, sondern auch andere Aspekte der Lebensqualität berücksichtigen.

  • Ein zu tiefes Einsinken, ein Umschließen des Körpers, vermindert die Chance, noch vorhandene Restmobilität auszuüben.
  • Ein zu unspezifisches, nachgebendes Umfeld erschwert es, eigene Körpergrenzen auszumachen und wirkt sich so negativ auf die Körperwahrnehmung aus.
  • Einschränkungen bei Lageveränderungen und Mikrobewegungen sowie fehlende Reize führen zu einem unruhigen, wenig erholsamen Schlaf, was die gesamte Gesundheitssituation zusätzlich belastet.

Sobald eine Matratze einer Mobilisation oder den Eigenbewegungen des Patienten entgegenwirkt, wird Bettlägerigkeit, die es eigentlich zu vermeiden gilt, gefördert. Die Folge sind Muskelabbau und Kreislaufprobleme, die wiederum die Aktivierung des Patienten erschweren. Der gut gemeinte Einsatz einer weichen Matratze kann so einen Teufelskreis auslösen und die dauerhafte Bettlägerigkeit beschleunigen. Überprüfen Sie die Leistungen der Ihnen angebotenen Produkte, abhängig vom individuellem Zustand des Patienten, auch auf solche Faktoren.

Eine Hilfsmittelnummer ist kein Gütesiegel

Eine Hilfsmittelnummer ist die Voraussetzung dafür, dass ein Hilfsmittel mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann. Über die Qualität des Produktes sagt sie zunächst nur wenig aus.

Um in das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) aufgenommen zu werden, muss der Hersteller glaubhaft machen, dass sein Produkt die Anforderungen des §139 SGB V erfüllt. Für Antidekubitus-Matratzen müssen diese allerdings nicht durch empirische Studien wissenschaftlich nachgewiesen werden. Auch die Einreichung von Expertenmeinungen, ergänzt durch materialvergleichende Labortests, können vom GKV-Spitzenverband als ausreichend bewertet werden. Die im Rahmen der Aufnahme von Antidekubitus-Matratzen in das HMV ermittelten Werte zur Druckentlastung oder zum Mikroklima sind technische Daten, die helfen sollen, einzelne Produkte innerhalb des HMV zu vergleichen.

Auf Grundlage der festgestellten Eigenschaften einer Antidekubitus-Matratze lassen sich jedoch keinerlei Rückschlüsse bezüglich ihrer Wirksamkeit oder Eignung für bestimmte Dekubitusstufen oder Risikopatienten ziehen. Bei den im Hilfsmittelverzeichnis zitierten Angaben zur Einsatzeignung von Matratzen bei unterschiedlichen Dekubituskategorien handelt es sich ausschließlich um Aussagen der Hersteller.

Es handelt sich dabei nicht um die Ergebnisse von Testverfahren oder Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes!

Druckmindernde Eigenschaften ein und desselben Produktes können bei verschiedenen Gewichtsbelastungen, Körperprofilen und Patientenlagerungspositionen von sehr unterschiedlicher Qualität sein. Eine in der Druckminderung positiv wirkende Matratze kann gleichzeitig ungünstige Werte beim Mikroklima aufweisen und umgekehrt. Eine Matratze, die in der beim Labortest geprüften Rückenlage positive Werte erzielt hat, kann in der 30°-Seitenlagerung patientengefährdende Druckwerte aufbauen. Zudem ist es möglich, dass eine im Hilfsmittelverzeichnis gelistete Antidekubitus-Matratze im Verhältnis zu einer Standard-Krankenhausmatratze für einen teilmobilen Patienten ohne schwerwiegende Indikationen mit einem Körpergewicht von 80 kg eine gute Wahl darstellt. Für den Einsatz bei einem Menschen von 110 kg Gewicht kann dasselbe Produkt aber ungeeignet und bei bestimmten Hochrisikopatienten jedweden Gewichts inakzeptabel sein.

Lassen Sie sich durch Aussagen im Hilfsmittelverzeichnis oder in Produktbeschreibungen und Werbeprospekten niemals von der Sichtung der einzelnen Produkteigenschaften und der spezischen Eignungsprüfung für die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten abbringen!

Vorsicht, Werbung!

Entgegen aller Warnungen aus nationalen und internationalen Fachkreisen wird die Eignung von Antidekubitus-Matratzen an Dekubitusgraden festgemacht. 

Verweisen Hersteller auf Studien, sollte die Belastbarkeit der Ergebnisse geprüft werden: Fünf Testpersonen über drei Wochen beobachtet, lassen nicht seriös auf einen prophylaktischen oder therapeutischen Nutzen eines Hilfsmittels schließen, auch wenn der Test als „Studie“ deklariert wird. Produktangebote eines Herstellers, der in seinen Broschüren Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen bis zu einer Gewichtsklasse freigibt, in der diese beim Druckentlastungstest negative Werte erzielt haben, sollten kritisch hinterfragt werden. Auffällig ist auch, dass Produkte unterschiedlicher Hersteller bei Stauchhärte und Raumgewicht, den zentralen Qualitätsmerkmalen von Schaumstoffweichlagerungen, die gleichen Werte aufweisen, sich aber in den Aussagen zur therapeutischen Eignung extrem unterscheiden. Führen sie bei einem Hersteller zur Werbeaussage „geeignet bis Dekubitus Grad I“, wagt ein anderer Hersteller sogar den Hinweis „geeignet bis Dekubitus Grad III“. Aussagen über die Eignung einer Matratze können nicht verallgemeinert werden. Sie können sich nur auf die Bedürfnisse des Patienten beziehen!

Pflegeleicht im Dauereinsatz?

„Gleichbleibende Qualität ohne Wartung“, ist in Herstellerbroschüren zu lesen. Doch noch gibt es keine zuverlässigen Langzeituntersuchungen zur Materialermüdung von Antidekubitus-Matratzen durch Dauerbelastung oder Reinigungsverfahren. Tests von Schaumstoffmatratzen vergleichbarer Qualitäten in anderen Zusammenhängen aber zeigen: Diese können im Gebrauch und unter bestimmten äußeren Ein üssen ihre Eigenschaften und Elastizität verändern. Im sensiblen Bereich der Dekubitusprophylaxe und -therapie muss daher die Frage gestellt werden, wie sich die Druckentlastungswerte der Schaumstoffmatratze im Zeitablauf und nach verschiedenen Wiedereinsätzen verändert haben und ob sie überhaupt noch ausreichend für den Patienten sind.

Auf einen weiteren wichtigen Aspekt macht die Stiftung Warentest aufmerksam: Aufgrund von Herstellungsverfahren können bei Matratzen aus der gleichen Fertigungsreihe Raumgewichte und Stauchhärten um bis zu 20% differieren – und das vor dem Ersteinsatz! Für den gesunden Menschen ist dies beim privaten Matratzenkauf eventuell zu vernachlässigen, für den dekubitusgefährdeten Patienten, der bestimmte Druckentlastungswerte dauerhaft benötigt, birgt dies ein enormes Risiko. Da es sich bei Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen um offenporiges Material handelt, ist eine umfassende Reinigung des Matratzenkerns oft schwierig. Nicht alle Kerne von Schaumstoff-Matratzen sind autoklavierbar, das heißt durchVakuum- oder Dampfdesinfektionsverfahren zu reinigen, um eine Abtötung z. B. von Milzbranderregern oder von bakteriellen Sporen wie Tetanus sicherzustellen. Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen werden in den meisten Fällen durch ein Encasing bzw. einen Inkontinenzbezug hygienisch geschützt. Laut mancher Herstellerinformation würden daher Wischdesinfektionen zur hygienischen Aufbereitung genügen. Vorausgesetzt wird dabei, dass die Matratzenhülle, das Encasing, intakt ist und nie eine unsachgemäße Behandlung von Matratzenkern und Schutzhülle stattfand.

Doch Antidekubitus-Matratzen sind meist Leihprodukte der Krankenkassen oder Sanitätsfachhändler. Es ist kaum nachzuprüfen, wie lange und ob sie immer verantwortungsbewusst in Gebrauch waren. 

Stichproben zeigten, dass nach dem Einsatz von Antidekubitus-Matratzen nicht auf den ersten Blick erkennbare Haarrisse und andere Defekte der Schutzhülle durchaus zum Pflegealltag gehören. Flüssigkeiten, Viren und Bakterien können den Matratzenkern somit verunreinigen und beim nächsten Patienten für Infektionsrisiken sorgen. Erkundigen Sie sich vor der Lieferung einer Matratze, auf welcher Grundlage Ihnen die Qualität bzgl. der Produkteigenschaften und der Hygiene während des aktuellen Einsatzes garantiert werden können!

„Nach bestem Wissen und Gewissen!“

Die richtige Wahl einer Antidekubitus-Matratze erfordert die Beschäftigung mit der individuellen Gesamtsituation des Patienten sowie mit dem Produkt und seinen tatsächlichen qualitativen Eigenschaften. Können Sie die folgenden Fragen „nach bestem Wissen und Gewissen“ positiv beantworten, haben Sie eine Grundlage für eine verantwortungsbewusste Entscheidung geschaffen!

  • Ist die Bewerbung des Produktes aus Ihrer Sicht vertrauenswürdig und sind die Aussagen überprüfbar?
  • Sind die Produkteigenschaften für jeden einzelnen Patienten in seiner aktuellen Situation optimal abgewogen bezüglich:
    • Druckverminderung bei jeweiligem Körpergewicht?
    • Förderung der Restmobilität?
    • der vorliegenden Erkrankung und Pflegesituation?
  • Kann eine hygienisch zufriedenstellende Aufbereitung nachgewiesen werden bezüglich
    • Unversehrtheit der Schutzhülle?
    • ggf. Reinigung des Matratzenkerns?
  • Können Ihnen die Produkteigenschaften zum jetzigen Zeitpunkt vom Lieferanten überzeugend erklärt und garantiert werden?

Verantwortung übernehmen

Der bettlägerige Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und seiner Lebensqualität sollten im Mittelpunkt Ihrer Entscheidung stehen. Bedenken Sie dies bei der Abwägung ökonomischer, medizinisch-pflegerischer und ethischer Kriterien! Eine Schaumstoffmatratze für alle(s) wird den Anforderungen von Patienten und offiziellen Expertenstandards nicht gerecht.

 

Eine Information des Qualitätsverbund Hilfsmittel e. V. • Werdescher Markt 15 • 10117 Berlin  • Telefon +49 (0)30 41 40 21 – 70 • info@qvh.de • www.qvh.de • Herausgeber: Qualitätsverbund Hilfsmittel e.V. • Konzeption und Text: Sabine Diemer, Köln