Dringender Handlungsbedarf bei der Dekubitusversorgung

Im Mai erschien das MTD-Special „Dekubitushilfesmittel und Pflegebetten“. Patrick Kolb, unser Geschäftsführer und stellvertretender Vorsitzender der Fachvereinigung Medizin Produkte (FMP) e.V. äußert sich in einem Interview zum aktuellen Stand.

2015 05 MTD HandlungsbedarfIm Folgenden fassen wir seine Kernaussagen zusammen. Das vollständige Interview können Sie in der Mai-Ausgabe des MTDialog oder der PDF lesen.

Aktueller Stand der Dekubitusversorgung

Die Versorgung mit Hilfsmitteln gegen Dekubitus ist bereits seit Jahren durch einen erheblichen Qualitätsverfall bei Produkten und Dienstleistungen gekennzeichnet. Im Produktbereich hat sich der Abwärtstrend nach Auskunft von Herstellern im letzten Jahr mit einem Absatzzuwachs bei einfachsten und billigsten Produkten weiter fortgesetzt.

Hinsichtlich des Dienstleistungsverhaltens in der Antidekubitus-Versorgung wurde unsere Einschätzung durch die IWAK-Studie bestätigt. Hilfsmittel werden ohne Bedarfsermittlung vor Ort, ohne qualifiziertes Fachpersonal und ohne Einbeziehung wichtiger Einflussfaktoren auf die Versorgung undifferenziert und damit risikobehaftet für den Patienten abgegeben. Eine bedarfsgerechte Versorgung findet weitestgehend nicht statt.

Carenetic, ein Leistungserbringer in dem ich verantwortlich tätig bin, beauftragte as Marktforschungsunternehmen DRG Market mit einer Analyse von Dekubitus-Fallzahlen. Nachgewiesen werden konnte in den letzten Jahren eine starke Zunahme bei den Dekubitus-Fallzahlen, die nicht nur durch die demografische Entwicklung, also mehr Pflegebedürftige, zu erklären sind.

Das Ausmaß dieser dramatischen Negativentwicklung, die zu aktuell mehr als 460.000 Fällen geführt hat und die das Gesundheitswesen mit jährlichen Folgekosten zwischen 2 und 4 Mrd. Euro belastet, wird erst deutlich, wenn man hierzu in Relation setzt, dass 95 Prozent der Dekubitusfälle als vermeidbar gelten.

Wichtig zur Senkung dieser Zahlen sind die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der Prävention, die Bewegungsförderung und die druckentlastende Lagerung.

Ein Grund für die Zunahme ist laut Experten, wie Dr. Kostka, schlicht und einfach das Nichtwissen. Es ist eine deutliche Abnahme von Wissen und Handlungskompetenz bei den Pflegekräften festzustellen. Dies gilt aus unserer Sicht auch leider für viele Leistungserbringer im Hilfsmittelsektor. Hier werden leichtgläubig, unreflektiert Werbebotschaften übernommen und Hilfsmittel ohne die Grundlage einer kompetenten Bedarfsermittlung unter den Patienten gelegt.

Wenn zum Beispiel die Angehörigen keine Umpositionierung des Patienten vornehmen können und die drei Pflegediensteinsätze am Tag auch nicht ausreichen, um die notwendigen Lagerungsintervalle sicherzustellen, werden eben Hilfsmittel benötigt, die eine entsprechende Verlängerung des Intervalls möglich machen. Dies gelingt bei immobilen Patienten mit hohen Dekubitusrisiken aber eben nicht durch eine Einheitsversorgung mit einfachsten statischen Schaumstoffmatratzen aus dem untersten Preissegment. Dass dies so gehandhabt wird, darauf deuten aber einige Fakten hin.

Der Anstieg geht zeitlich einher mit der Einführung des HMV-Labortestverfahrens ab 2007. In dessen Folge kam es zu Leistungsetikettierungen bzw. Dekubitusgradzuordnungen nach Messwerten sowie Diffamierungen anderer Technologien in unseriösen Werbekampagnen von Schaumstoffanbietern. Hieraus resultierte schließlich ein starker Anstieg des Marktanteils von Schaumstoffmatratzen.

Schleswig-Holstein gilt bei Herstellern von Matratzen, unter anderem aufgrund der Ausschreibung der AOK Nordwest, als Bundesland, in dem fast ausschließlich Schaumstoffmatratzen eingesetzt werden. Hier ist der Anstieg der Dekubitus-Fallzahlen mit 89 Prozent extrem und überproportional hoch.

Uns liegt eine Erhebung vor, in der über 500 Fälle untersucht wurden, bei denen es trotz Vorliegen einer Schaumstoff-Weichlagerungsmatratze zu einem Dekubitus gekommen ist. Aus dem Vergleich der Risiko- und Umfeldbedingungen der einzelnen Fälle lassen sich Faktoren ableiten, bei denen statische, nicht anpassbare Schaumstoffmatratzen nicht geeignet scheinen, einem Dekubitus vorzubeugen.

Im Zusammenhang mit der neuen Dekubitusklassifizierung „deep tissue injury“, also direkten, tiefen Gewebeverletzungen bei zunächst oberflächlich intakter Haut, belegen Studien aus den USA die deutliche Überlegenheit der Druckentlastung mit Luft gegenüber Schaum beim sitzenden Patienten. Dies vor dem Hintergrund, dass Fachhandel und Anwender sich aktuell mit Angeboten von Schaumstoffherstellern auseinandersetzen müssen, in denen Antidekubitus-Sitzkissen mit „Grad IV“ gelabelt unter 50 Euro ohne Gebrauchsanweisungen und Risikohinweise angeboten werden.

Dringlichkeit der Fortschreibung der PG11

In Bezug auf die Weiterentwicklung der Produktgruppe 11 wissen wir lediglich, dass die Krankenkassenvertreter im entsprechenden Gremium des GKV-Spitzenverbandes Anfang 2014 einer Fortschreibung zugestimmt haben.

Ansonsten sind die angekündigten, kurzfristigen Teilfortschreibungen zu dringlichen Fragestellungen bis heute nicht erfolgt. Die konkreten Fortschreibungsthemen, an denen gearbeitet wird, sind nicht bekannt und eine Beteiligung der Leistungserbringer findet bisher nicht statt. Es kann nicht sein, dass die Leistungserbringer nach Jahren im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens einen Fortschreibungsentwurf vorgesetzt bekommen, den sie dann lediglich kommentieren dürfen. Im Übrigen ist das nicht alleine die Einschätzung der FMP, sondern auch die anderer Verbände und Organisationen.

Einbeziehung der Leistungserbringer in den Fortschreibungsprozess

Erst am Ende werden die Leistungserbringer in den Fortschreibungsprozess einbezogen. Dabei sind die Hinweise auf die Defizite und die Risiken der Versorgung, die zur Fortschreibungsentscheidung geführt haben, doch im Wesentlichen aus der Praxis und – bei aller Bescheidenheit – zu einem großen Teil von uns gekommen.

Bei der Patientenversorgung vor Ort zeigen sich täglich die negativen Auswirkungen der aktuellen Rahmenbedingungen. Lösungen, die zu einer Verbesserung der Patientensituation und auch zur Vermeidung der erheblichen Folgekosten führen, sollten unter Berücksichtigung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes und der Einbindung der Praxis erarbeitet werden. Die notwendige Berücksichtigung der Praxis durch den GKV-Spitzenverband muss durch eine konstruktive, kontinuierliche Einbindung der Leistungserbringer vorgenommen werden.

Ich bin mir sicher, dass dann auch im Konsens gute Ergebnisse für Patienten und Kostenträger erzielt werden können. Die Bearbeitungszeiten sind angesichts der Dringlichkeit der Aufgabenstellung und der Entwicklung der Dekubitus-Fallzahlen jedenfalls völlig unangemessen. Die Defizite sind alle schon seit mehreren Jahren bekannt. So werden weiter jeden Tag Hunderte von Patienten auf falschen Informationsgrundlagen mit Hilfsmitteln versorgt.

Zentrales Problem: Missbrauch der Dekubitusgrade

Dass die Zuordnung von Produkten zur Eignung für bestimmte Dekubitusgrade falsch ist, wurde bereits 2009 von Dr. Lahmann, Charité Berlin, und Professor Bienstein, Universität Witten-Herdecke, publiziert. Unter anderem haben sich in der Folge Professor Seiler aus Basel, der Begründer der Dekubitusklassifikation „nach Seiler“, sowie Professor Amit Gefen, Präsident der EPUAP, deutlich vom Missbrauch der Dekubitusgrade bei der Produktbeschreibung distanziert und auf die Patientenrisiken hingewiesen.

Es handelt sich bei diesem Missbrauch daher nicht um „bloße Meinungsäußerungen ohne adäquate Begründung“, wie der GKV-Spitzenverband die gleichlautende Kritik der FMP aus dem letzten Jahr bezeichnete. Dr. Lahmann und Prof. Gefen gehören zu den führenden Wissenschaftlern beim Thema „Dekubitus“.

Die Frage muss erlaubt sein, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Dekubitusklassen überhaupt erst den Eingang ins HMV gefunden haben.

Trotz dieser wissenschaftlichen Expertisen müssen Hersteller von Antidekubitusmatratzen im Rahmen des HMV-Zulassungsverfahrens zur PG 11 auch 2015 immer noch angeben, bis zu welchem Dekubitusgrad ihr Produkt einsetzbar ist. Diese in keiner Weise substantiierten Leistungsetikettierungen werden anschließend im HMV abgedruckt. Ob nun der Hinweis „nach Herstellerangaben“ dabei steht oder nicht: Die HMV-Nummer in Kombination mit der abgedruckten Leistungsaussage dient vielen Kassen und Leistungserbringern als Legitimation für das unterste Versorgungsniveau.

Jeder Hersteller, der auf die Zuordnung seiner Produkte zu Dekubitusgraden verzichtet, verliert zwangsläufig Marktanteile. Es ist heute leider so, dass das Unternehmen mit den hemmungslosesten Aussagen und den einfachsten Botschaften das Rennen macht: „Einsetzbar bis Grad IV, keine Kontraindikationen, keine Nebenwirkungen, keine Wartung erforderlich, wiedereinsetzbar und das Ganze für unter 100 Euro.“ Das klingt gut, hat aber fatale Folgen für schwerkranke Menschen und deren Kostenträger.

Eine sachliche Grundlage für diese Behauptungen gibt es nicht. Bei Antidekubitus-Hilfsmitteln handelt es sich um Medizinprodukte der Risiko- klasse I, bei denen der Hersteller eine „Selbsterklärung“ bzw. eine Konformitätserklärung abgibt. Es gibt hier keine Fremdkontrolle, externe Zertifizierung oder Studien. Im Grunde kann der Hersteller erst einmal irgendetwas behaupten.

Wir glauben, dass die Schwierigkeit, die Ursachen einer Dekubitusentstehung im Einzelfall genau nachzuweisen, und daraus folgend ein geringes Haftungsrisiko das Kalkül hinter diesen Produktbeschreibungen ist. Das ist wenig verantwortungsbewusst, aber juristisch schwer angreifbar. Wir können nur jeder Kasse und jedem Leistungserbringer nahelegen, diese Aussagen äußerst kritisch zu werten.

Ein Beispiel aus der Praxis

Bei Anträgen für Antidekubitus-Hilfsmittel verweisen manche Krankenkassen als „Alternativversorgung“ auf eine einfache Schaumstoffmatratze aus dem untersten Preissegment, da diese laut HMV „bis Grad IV“ geeignet sei. Dieser Hinweis erfolgt standardisiert, obwohl der Vertragspartner, der die Versorgung durchführen soll, zu diesem Zeitpunkt die Situation und den Bedarf des Patienten vor Ort noch gar nicht gesehen hat.

Das Beispiel zeigt, dass pauschal, ohne Kenntnis der Patientenanforderungen, auch in schwierigen Versorgungsfällen Low-Price-Artikel aus einer anderen Produktuntergruppe eingesetzt werden sollen und dass die Krankenkasse ernsthaft annimmt, ihre Produktempfehlung stelle in jedem Fall eine Alternative dar, weil sie ja „bis Grad IV“ einsetzbar ist.

Wir sind uns aktuell nicht sicher, ob die GKV die Zuordnung von Hilfsmitteln zu Dekubitusgraden überhaupt unterbinden will oder ob man nach Begründungen sucht, diese falsche Zuordnung weiter im HMV zu halten.

Eine Mitarbeiterin des GKV-Spitzenverbandes hat der Vertreterin eines Herstellers kürzlich geantwortet, dass die Leistungserbringer ohne die Dekubitusgrade keine Orientierung mehr für die Versorgung hätten. Diese Aussage ist einigermaßen verwunderlich, schließlich weist der GKV- Spitzenverband selbst darauf hin, dass die Produktauswahl nicht nach Dekubitusgraden erfolgen soll.

Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Versorgungssituation

Ein Festhalten an der Angabe des Dekubitusgrades kann auch nicht mit der notwendigen Zweckbestimmung nach dem MPG begründet werden, da sie mit § 4 (2) des MPG kollidiert, nach dem Produkte mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung zu versehen oder ihnen Leistungen beizulegen, die sie nicht haben, untersagt ist.

Anstelle dieser falschen Orientierungsgrundlage zur Produktauswahl müssen sich die Leistungserbringer fachlich mit dem Thema und den Kriterien zur Produktauswahl beschäftigen. Eine unsachliche, irreführende Zweckbestimmung sollte aus einem öffentlichen Verzeichnis gestrichen werden.

Die Definition von Dienstleistungsstandards für die Versorgung und deren Aufnahme in das HMV sind wichtige Punkte, die auch schon seit 2009 von führenden Pflegewissenschaftlern gefordert werden. Aktuell kündigt der GKV-Spitzenverband die Aufnahme von Dienstleistungen zum wiederholten Male an. Auch bei diesem Thema sind wir der Meinung, dass man in einer Expertenrunde in ein oder zwei Arbeitssitzungen im Konsens die notwendigen Dienstleistungsinhalte schnell definieren kann.

Hygiene und Wiedereinsatz

Wir haben angesichts der kritischen Aufbereitungspraxis in vielen Betrieben und der Veränderung von technisch-funktionalen Eigenschaften der Produkte im thermischen Dampfdes- infektionsverfahren lediglich die Frage gestellt, ob Schaumstoffmatratzen aus Patientenschutzgründen wiedereinsetzbar sind. Der GKV-Spitzenverband hat dann im November 2013 zu dieser Frage Kontakt zum Robert Koch-Institut aufgenommen.

Anderthalb Jahre später gibt es hierzu leider noch kein konkretes Ergebnis. Aktuell sind im HMV Produkte aus vergleichbaren Schaumstoffmaterialien gelistet, von denen einige mit „nicht wiedereinsetzbar“ und andere mit „wie- dereinsetzbar“ gekennzeichnet sind. Hier muss endlich Klarheit und Sicherheit geschaffen werden.

Polarisierung Schaumstoff versus Wechseldruck

Wir kritisieren nicht die Schaumstoffmatratzen an sich, bei denen es, wie bei energetisch betriebenen Systemen auch, eine Bandbreite unterschiedlicher Qualitäten gibt.

Wir kritisieren zunächst einmal das Labortestverfahren, das 2007 der Ausgangspunkt für die vermeintliche Leistungssteigerung dieser Produktart war. Hieran will der GKV-Spitzenverband leider weiter festhalten, obwohl es in keiner Weise die Versorgungspraxis mit ihren unterschiedlichen Körperprofilen, Körperlagen, Liegedauern, Unterkonstrukten etc. simuliert. Die Aussagen zur Druckentlastung sind für die Versorgungspraxis entsprechend wertlos.

Schaumstoffmatratzen gehören als Produktgattung selbstverständlich zu den Hilfsmitteln, mit denen einem Dekubitus vorgebeugt werden kann. Ihre Eignung zur Prävention oder unterstützenden Therapie ergibt sich wie bei allen Hilfsmitteln aber immer aus der spezifischen Patientensituation. Es gibt Versorgungssituationen, wo Schaumstoffmatratzen mit einem gewissen Qualitätsstandard eingesetzt werden können, und andere, wo deren physikalische Eigenschaften naturgemäß Grenzen haben. Eine Matratze für jede Patientensituation gibt es nicht, wie manche Hersteller-Werbung suggerieren will.

Dennoch haben solche Hersteller Erfolg. Sie simplifizieren die Komplexität der Patientenversorgung geschickt, versehen einfachste Produkte mit gut klingenden Schlagworten und bieten extrem niedrige Preise an. Damit treffen sie die Bedürfnisse vieler Leistungserbringer, die im existenziellen Überlebenskampf einfache Lösungen mit minimalem Kompetenz-, Versorgungs- und Nachbearbeitungsaufwand suchen. Wenn dann die Produktbeschreibungen einen Einsatz bis Grad IV versprechen und das im Hilfsmittelverzeichnis abgedruckt wird, erhalten sie auch noch eine Legitimation für ihr Versorgungsverhalten. Dieses „Keep it simple“ trifft natürlich auch den Nerv solcher Krankenkassen, die nur die fallbezogenen Hilfsmittelkosten im Blick haben.

Zukunft patientengerechter Versorgung

Auf dem Weg zu einer besseren, leitliniengestützten Dekubitusversorgung müssen wir jetzt dringend einen Schritt weiterkommen und nebulöse Grundsätze hinter uns lassen. Die Druckentlastungseigenschaften von Antidekubitus-Hilfsmitteln beruhen alle auf physikalischen Prinzipien und Wirkungsweisen. Abhängig von der konkreten Patientensituation und den pflegerischen Umfeldbedingungen können diese unterschiedliche Wirkungen entfalten oder sogar zu Nachteilen führen.

Die Hilfsmittelauswahl muss sich aus der Analyse der Situation vor Ort ergeben. Die Zusammenhänge sind an dieser Stelle in Kürze schwer zu erläutern. Jedenfalls kann und muss man die fachliche Erörterung führen, was in welcher Situation für den Patienten richtig ist. Bei Carenetic, einem auf das Dekubitusmanagement spezialisierten Unternehmen, in dem ich verantwortlich bin, setzen wir eine patientenorientierte, situationsbedingte Zuordnung um, die mit dem Konzept der Charité vergleichbar ist, das Herr Skiba auf dem „Dekubitus-Update“ im Universitätsklinikum Essen vorgestellt hat. Die Ergebnisse für Patienten und Kostenträger sind sehr gut.

Darüber hinaus kommen wir auch an der Definition von Qualitätsstandards für Produkte nicht vorbei. Es gibt mangelhafte energetisch betriebene Systeme genauso wie minderwertige Schaumstoffmatratzen, die beide in diesem kritischen Versorgungssegment nichts verloren haben. Im Übrigen geht in der Schwarz-Weiß-Betrachtung unter, dass es nicht nur Schaumstoff und Wechseldruck gibt. Die energetisch gesteuerte Weichlagerung oder Luft-Schaumstoff-Kombinationen gleichen spezifische Mängel von Schaumstoff oder Wechseldruck aus.

System- und Gesamtkostendenken

Wenn vertraglich festgelegte Leistungen nicht zu den vereinbarten Preisen erbracht werden können, müssen die Kostenträger davon ausgehen, dass der Leistungsanbieter diese unterlässt. Die IWAK- Studie der AOK Hessen hat dies nachgewiesen. Man kann aus Verantwortung gegenüber den Versicherten nicht Verstöße gegen die Medizinprodukte-Betreiberverordnung, die Hilfsmittelrichtlinien, den eigenen Vertrag und damit die Gefährdung der eigenen Versicherten in Kauf nehmen. Dies gilt für jeden Kostenträger, der zur rechtlichen Absicherung alles in einen Vertrag packt und dann Konditionen vereinbart bzw. annimmt, die eine Erfüllung unmöglich machen.

Nach wie vor verhindert das interne Spartendenken bei vielen Krankenkassen eine bessere Versorgung. Unternehmerische Gesamtzusammenhänge und Interdependenzen werden zu wenig berücksichtigt, um Kosten zu minimieren. Soll heißen, der Hilfsmittelverantwortliche hat seine Kosten in diesem Segment möglicherweise gesenkt und die Folgekosten bei Verbandstoffen, Medikamenten, Behandlungspflege und ärztlicher Versorgung steigen überproportional.

Kritisch ist auch, dass Produktbeschreibungen oder die HMV-Nummer den Leistungserbringern als rechtliche Begründung für eine Antragsentscheidung entgegengehalten werden können, während andere sinnvolle Inhalte aus dem HMV nicht beachtet werden müssen. Die Autoren des gerade erschienenen Fachbuchs „Dekubitusmanagement“ weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die „derzeitige Version des GKV-HMV nicht zur Hilfsmittelauswahl im Dekubitusmanagement geeignet ist“. Wir möchten gleichwohl darauf hinweisen, dass es auch Kostenträger gibt, die verantwortungsbewusst handeln, indem sie sinnvolle Versorgungsanforderungen definieren, realistische Kostenerstattungen vereinbaren, die Leistungserbringung anschließend kontrollieren und damit Versichertenzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit erzielen.