Im Interview: „Maßnahmen müssen angepasst werden“

Trotz Expertenstandard und zahlreicher Hilfsmittel steigen die Dekubitus-Fallzahlen. Warum das so ist, und was Einrichtungen dagegen tun können, erläutert Patrick Kolb von der Fachvereinigung Medizin Produkte (fmp) e.V. im Interview mit Aktenpflege online.

2016 01 Dekubitus Altenpflege Interview Chronische Wunden Patrick KolbAltenpflege: Herr Kolb, nach Ansicht von Ihnen und anderer Experten besteht bei der Versorgung mit Antidekubitus-Hilfsmitteln Reformbedarf. Warum?
Patrick Kolb: Antidekubitus-Hilfsmittel werden in der Regel auf Basis einer ärztlichen Verordnung von den Krankenkassen genehmigt und von einem Vertrags-Fachhändler versorgt. In den Verträgen der Krankenkassen fehlen aber meist Standards dafür, wie diese Versorgung qualiiziert und bedarfsgerecht erfolgen muss. Eine Studie des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität Frankfurt belegt, dass Antidekubitus-Hilfsmittel heute weitgehend ohne qualifiziertes Fachpersonal, ohne den Bedarf vor Ort zu ermitteln und ohne wichtige Einflussfaktoren auf die Versorgung einzubeziehen völlig undifferenziert und damit risikobehaftet für den Patienten abgegeben werden.

Altenpflege: Eine Untersuchung zu Dekubitus-Fallzahlen, die Sie in Auftrag gegeben hatten, ergab eine starke Zunahme in den vergangenen Jahren. Welche Gründe sind hierfür verantwortlich?
Patrick Kolb: Die Ursachen sind komplex und liegen auf verschiedenen Ebenen. Unter anderem fehlt es an Basiswissen zur Dekubitusentstehung, zur Risikobewertung von Bewohnern und daraus abzuleitenden Rückschlüssen für die Präventionsmaßnahmen. Da Kompetenz und Zeit häufig nicht ausreichen, um das Risiko zu beurteilen, bleiben die notwendigen Anpassungen aus, wenn sich der Zustand des Bewohners verändert und dadurch sein Dekubitusrisiko steigt.

Altenpflege: Was kann in den Pflegeeinrichtungen konkret getan werden, um dem entgegen zu wirken?
Patrick Kolb: Die beste Prävention ist gut ausgebildetes, motiviertes und engagiertes Personal. Kernelement der Dekubitusprophylaxe ist die Risikoeinschätzung. Hierfür müssen ausreichende Wissensgrundlagen bestehen. Da reicht es nicht, die Fortbildungsanforderungen durch Händler- bzw. Herstellerschulungen zu erfüllen. Für qualiizierte, neutrale Schulungen müssen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Wichtig wäre auch, dass in der Plegeplanung die regelmäßige Überprüfung des individuellen Dekubitusrisikos berücksichtigt und dann auch tatsächlich und gewissenhaft durchgeführt wird, um bei Risikoveränderungen unverzüglich Anpassungsmaßnahmen für den gefährdeten Bewohner einzuleiten. Die meisten Dekubitalgeschwüre entstehen, weil nach einer Zustandveränderung des Bewohners die Präventionsmaßnahmen im Bereich der Lagerung und Hilfsmittelversorgung nicht angepasst werden.

Interview: K. Nolte