Informationen für Betroffene, Angehörige und Bezugspersonen: Druckgeschwüre erfolgreich vermeiden

Ein Dekubitus lässt sich heute bis auf wenige Ausnahmesituationen vermeiden. Sie als pflegender Angehöriger können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Wir sagen Ihnen wie und helfen Ihnen dabei.

Text: Patrick Kolb | in: Angehörige pflegen

Carenetic-Artikel Druckgeschwüre erfolgreich vermeiden, 11.2012Das Risiko, sich wund zu liegen, gehört zu den größten Pflegeproblemen. Jährlich entwickeln in Deutschland mehr als 400 000 Menschen ein Druckgeschwür, einen sogenannten Dekubitus. Dieser geht mit viel Leid und Schmerzen einher und vermindert die Lebensqualität von Betroffenen und Angehörigen. Dabei lässt sich ein Dekubitus heute bis auf wenige Ausnahmesituationen vermeiden. Sie als pflegender Angehöriger können dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

An Erkenntnissen, wie ein Dekubitus entsteht und wie man ihn vermeiden kann, mangelt es nicht. Bereits seit über zehn Jahren gibt es den „Nationalen Expertenstandard für Dekubitusprophylaxe“ als Leitlinie für die Pflege.

Dekubitusgefährdet sind in erster Linie schwer kranke, pflegebedürftige Menschen, die in ihrer Mobilität stark eingeschränkt sind, das heißt in ihrer Fähigkeit, sich eigenständig zu bewegen oder ihre Position zu verändern.

Ein Dekubitus entsteht durch hohen oder langandauernden Druck auf Haut und Gewebe oder durch Reibungs- und Scherkräfte. Diese treten beispielsweise auf, wenn ein Patient durch falsche Bewegungstechniken über Liege- und Sitzflächen gezogen wird.

Lagerungskonzepte, Hilfsmittel zur Druckentlastung und Mobilitätsförderung und konkrete Handlungsempfehlungen zur Hautbeobachtung oder Hautpflege sind ausreichend vorhanden. Der Expertenstandard betont jedoch, dass Dekubitusvorbeugung nur dann funktionieren kann, wenn Pflegekräften und pflegenden Angehörigen Wissen, Material und Hilfsmittel zur Verfügung stehen und alle an der Versorgung Beteiligten gut zusammenarbeiten. Hierin liegt aber oft das Hauptproblem.

Es fehlt an Kommunikation, Kompetenz und Zeit

Pflegedienste, Ärzte, Physiotherapeuten oder Hilfsmittellieferanten stehen unter einem enormen Zeit und Kostendruck. Entsprechend erfährt der Patient häufig nur die Leistung, die der Zeitrahmen und die Vergütung durch die Krankenkassen zulassen.

Viele Beteiligte sind zudem einfach schlecht geschult. Oberflächliches Wissen führt beim Patienten vor Ort dann häufig zu unzureichenden Maßnahmen bei der Dekubitusvorbeugung.

Ein weiteres Problem ist, dass sich Arzt und Pflegekräfte häufig nicht darüber abstimmen, welche Lagerungs- und Bewegungsmaßnahmen bei dem Patienten am besten geeignet sind. Auch wird den Angehörigen nicht immer
vermittelt, wann, wie oft und wie sie Druckentlastungsmaßnahmen
richtig durchführen sollten.

Dekubitus ist kein unabwendbares Schicksal!

Seien Sie sich bewusst, dass Sie als pflegender Angehöriger eines Menschen, der in seiner Bewegung stark eingeschränkt ist, irgendwann mit der Gefahr des Wundliegens konfrontiert werden.

Seien Sie sich ebenso bewusst, dass vieles, was in Pflegeheimen oder Krankenhäusern zur Dekubitusvorbeugung geleistet wird, durch ambulante Pflegedienste nicht erbracht werden kann. Dafür ist deren Zeit beim Patienten zu kurz.

Sie selbst müssen versuchen, diese Lücke zu schließen. Setzen Sie sich mit der Bedrohung Dekubitus auseinander. Konfrontieren Sie Ihren Arzt oder den Pflegedienst mit Ihren Fragen und Ängsten, fordern Sie Informationen, lassen Sie sich schulen, und beantragen Sie wichtige Hilfen.

Mit persönlichem Engagement können Sie etwas für Ihren Angehörigen bewegen.

Die 6 zentralen Handlungsfelder bei der Dekubitusvorbeugung sind:

  1. Lernen durch Schulung und Anleitung
  2. Tägliche Hautinspektion
  3. Mobilisation und Bewegungsförderung
  4. Druckentlastung durch Lagerungsmaßnahmen
  5. Hautpflege
  6. Anwendung der richtigen Hilfsmittel

1. Lernen durch Schulung und Anleitung

Als Angehöriger haben Sie einen gesetzlichen Anspruch auf kostenlose Schulungen zur Verbesserung der Pflege nach § 45 SGB XI. Informieren Sie sich bei Ihrer Krankenkasse, Wohlfahrtsverbänden oder den örtlichen Pflegestützpunkten, wer Schulungen für pflegende Angehörige in Ihrer
Nähe anbietet.

Sehr wichtig ist zum Beispiel das Schulungsthema „Lagerung und Mobilisation“. Hier lernen Sie, wie Sie Ihren Angehörigen richtig druckentlastend lagern, wie Sie ihm dabei helfen können, seine Bewegungsfähigkeit zu erhalten, wie Sie ihn hautschonend im Bett bewegen oder in den Rollstuhl transferieren.

Die Pflegekräfte kommen zur Schulung auch zu Ihnen nach Hause und richten die Inhalte nach der individuellen Situation Ihres Angehörigen aus.

Ein wichtiger Tipp: Wenn Sie Ihren Angehörigen aufgrund eigener körperlicher Einschränkungen nicht unterstützen können, holen Sie andere vertraute Personen zur Schulung hinzu. Vielleicht haben Sie die Möglichkeit, eine gute Bewegungsförderung Ihres Angehörigen durch gleichfalls geschulte
Verwandte, Freunde oder Nachbarn zu gestalten.

2.Tägliche Hautinspektion

Der täglichen Hautbeobachtung kommt eine besondere Bedeutung zu. Achten Sie bei der Körperpflege oder beim Ankleiden Ihres Angehörigen sorgfältig auf Hautrötungen.

Besonders gefährdet und daher genau zu beobachten sind Körperstellen, an denen die Knochen hervorstehen und die beim Liegen und Sitzen besonders stark belastet werden. Dazu gehören vor allem das Kreuzbein, die Sitzbeinhöcker, die Fersen, die Wirbelsäule, die Hüftknochen und teilweise auch die Schulterblätter, der Hinterkopf, die Knieinnenseiten und Fußinnenknöchel.

Haben Sie auffällige Rötungen festgestellt, machen Sie den sogenannten „Fingertest“, den Ihnen eine Pflegefachkraft vorher gezeigt haben sollte. Stellen Sie eine dauerhafte Rötung fest, sollte Ihr Angehöriger diese Stelle bis zur weiteren Klärung möglichst gar nicht oder wenig belasten. Informieren Sie umgehend Ihren Pflegedienst oder den Arzt. Zeigen Sie ihnen auch kleine Hautrisse, die bei schwerkranken Menschen nur schlecht abheilen und sich infizieren können. Achten Sie auch auf bläuliche Verfärbungen der Haut. Hierunter kann sich eine tiefe, schwerwiegende Gewebeschädigung verbergen.

3. Mobilisation und Bewegungsförderung

Bewegungsförderung ist der wichtigste Ansatz zur Vorbeugung eines Dekubitus. Bewegung verbessert die Funktion des Herz-Kreislauf-Systems, fördert die Durchblutung des Gewebes und auch das Selbstwertgefühl des Menschen.

Die richtige Bewegungsförderung hängt von der individuellen Krankheitssituation Ihres Angehörigen ab und muss sich an seinen noch vorhandenen Fähigkeiten orientieren. Fragen Sie Ihren Pflegedienst, den behandelnden Arzt oder den Physiotherapeuten, welche Bewegungen förderlich sind, welche Ihr Angehöriger noch eigenständig durchführen kann und bei welchen Sie ihn unterstützen können.

Wenn Sie sich über ein gutes Bewegungsprogramm für Ihren Angehörigen erkundigt haben, schreiben Sie es sich auf. Fragen Sie Ihren Angehörigen, wie er sich bei den Bewegungen fühlt und was er als angenehm empfindet.

Schaffen Sie Anreize für Ihren Angehörigen. Bewegungsförderung beginnt bereits mit Übungen im Bett, um die Beweglichkeit der Gelenke zu erhalten und Kontrakturen vorzubeugen.

Besonders wichtig ist es, die Fähigkeit Ihres Angehörigen zu erhalten, eigenständig auch geringe Lageveränderungen im Bett vorzunehmen. Pflegebedürftige, die aus eigener Kraft ihre Position im Bett und vor allem auch im Stuhl verändern können, haben ein deutlich geringeres Risiko, einen Dekubitus zu bekommen.

Muten Sie sich bei der Unterstützung Ihres Angehörigen nicht zu viel zu. Achten Sie insbesondere auf eine rückenschonende Arbeitsweise und nutzen Sie Hilfsmittel, die Sie und Ihren Angehörigen bei den Mobilitätsmaßnahmen stark entlasten können.

Führen Sie ein Bewegungsbuch, in dem Sie alle durchgeführten Übungen, Lagerungs- und Transfermaßnahmen eintragen. Sie bekommen so ein Gefühl für eine rechtzeitige und regelmäßige Aktivierung.

Denken Sie daran: Die richtigen Bewegungsübungen müssen Sie mit Arzt und Pflegekräften be sprechen und bei der Durchführung mit Ihrem Angehörigen herausfinden.

4. Druckentlastung durch Lagerungsmaßnahmen

Wenn Ihr Angehöriger sich nur noch sehr eingeschränkt bewegen kann und keine selbstständigen Lageveränderungen mehr durchführt, müssen die Dekubitusgefährdeten Körperstellen durch regelmäßige Lagerungsmaßnahmen entlastet werden.

Machen Sie sich bewusst, dass ein Pflegedienst dies selbst bei vier täglichen Einsätzen nicht leisten kann. Es ist daher zwingend erforderlich,
dass Sie zusätzliche Lagerungsmaßnahmen selber durchführen oder organisieren.

Der Einsatz von Antidekubitus-Matratzen oder Antidekubitus-Sitzkissen, die den Auflagedruck auf die Haut reduzieren, können die Lagerungsintervalle verlängern, sie aber keinesfalls ersetzen.

Es gibt viele verschiedene Lagerungskonzepte. Einige davon sind sehr komplex und nur für die Anwendung durch professionelle Pflegekräfte vorgesehen. Wichtig ist es daher auch hier, zunächst Ihren Arzt und den Pflegedienst zu fragen, ob es bei der Lagerung Ihres Angehörigen krankheitsbedingte Einschränkungen gibt und welche Lagerungsmaßnahmen empfohlen werden.

Die für Ihren Angehörigen wirksamsten Lagerungstechniken erlernen Sie in den genannten Schulungen oder durch Ihren Pflegedienst. Für nahe zu alle Lagerungstechniken sind Hilfsmittel wie spezielle Kissen sinnvoll. Normale Haushaltskissen sind oft zu groß oder zu weich, schränken die Bewegungsfähigkeit ein oder ermöglichen keine angenehme Liegeposition.

Stellen Sie mit dem Arzt, dem Pflegedienst oder dem Physiotherapeuten einen Lagerungsplan auf und zeichnen Sie auch hier die durchgeführten Lagerungsmaßnahmen auf.

Besonders wichtig ist die Klärung von Lagerungsmaßnahmen in der Nacht. Hier gilt es, die Bedeutung eines ausreichenden, erholsamen Schlafes für Ihren Angehörigen und Sie selbst mit notwendigen Umlagerungen gemeinsam abzuwägen.

5. Hautpflege

Die Haut älterer, pflegebedürftiger Menschen kann wichtige Schutzfunktionen nicht mehr optimal ausüben. Aufgrund des langsameren Stoffwechsels braucht die Altershaut deutlich mehr Zeit für die Regeneration und die Produktion wichtiger Stoffe. Trockene Haut, Rissbildungen und Juckreiz sind die Folgen.

Treten in dieser Situation bei der Lagerung oder Mobilisation Reibungs- und Scherkräfte auf, kommt es sehr häufig zu Hautdefekten. Die Haut alter Menschen benötigt daher eine besondere Pflege.

Besonders wichtig sind Cremes und Lotionen mit feuchtigkeitsspendenden Aminosäuren, die die Haut vor dem Austrocknen bewahren. Ungesättigte Fettsäuren regen den Stoffwechsel an und schützen vor Entzündungen der Haut. Bei vorliegender Inkontinenz ist der Schutz des Intimbereiches besonders wichtig.

Bei der Auswahl der „richtigen“ Körperlotionen ist darauf zu achten, dass es sich nicht um ein „O/W“ (Öl-in-Wasser)-, sondern um ein „W/O“ (Wasser-in Öl)-Produkt handelt. Die Anwendung von Lotionen mit zusätzlichen Inhalts- und Wirkstoffen sollten mit dem Arzt oder Pflegefachkräften abgesprochen werden.

Zur Reinigung der Haut empfehlen sich besonders rückfettende, waschaktive Substanzen mit einem neutralen pH-Wert bis 5,5. Achten Sie darauf, dass Sie die Haut nur trocken tupfen und nicht trocken reiben. Auch von Massagen gefährdeter Hautpartien ist dringend abzuraten.

6. Anwendung der richtigen Hilfsmittel

Zur Unterstützung der Dekubitusvorbeugung gibt es eine Vielzahl von sinnvollen Hilfsmitteln. Sie lassen sich einteilen in

  • Mobilisationshilfsmittel, wie Gleitmatten, Transferbretter, Patientenlifter, Antirutschmatten,
  • Lagerungshilfsmittel, wie Seitenlagerungskissen, Freilagerungskissen, Lagerungsschlangen, Lagerungskeile und
  • Druckentlastende Hilfsmittel, wie Antidekubitus-Matratzen und Antidekubitus-Sitzkissen.

Welche Hilfsmittel für Ihren Angehörigen tatsächlich geeignet sind, muss wiederum durch eine individuelle Betrachtung der Mobilitätssituation, des Krankheitsbildes, des Dekubitusrisikos und der pflegerischen Umstände festgestellt werden.

Grundlage für die Beantragung von Hilfsmitteln ist zunächst ein Rezept des behandelnden Arztes. Zusammen mit dem Kostenangebot, das von einem Sanitätshaus oder einem spezialisierten Dienstleistungsunternehmen erstellt wird, kann das Hilfsmittel bei der Krankenkasse beantragt werden.

Wurde bei Ihrem Angehörigen ein sehr hohes Dekubitusrisiko oder bereits ein Hautdefekt festgestellt, sind druckentlastende Hilfsmittel, insbesondere eine Antidekubitus-Matratze, sofort einzusetzen.

Aufgrund der Dringlichkeit stellen einige Krankenkassen ihren Versicherten schon 24 Stunden nach Kostengenehmigung eine druckreduzierende Matratze zur Verfügung. Sollten Sie nach Ausstellung des Rezeptes mehrere Tage auf eine Antidekubitus-Matratze warten oder eine Ablehnung erhalten, weisen Sie Ihre Krankenkasse eindringlich auf die ärztliche Anordnung und die Pflicht zur Kostenübernahme hin.

Achten Sie auf gute Beratung!

Bei der Versorgung Ihres Angehörigen mit Antidekubitus-Hilfsmitteln sollten Sie auf die Qualifikation des Mitarbeiters der Lieferfirma achten. Nur eine examinierte Pflegefachkraft kann beurteilen, welches Produkt für Ihren Angehörigen am besten geeignet ist.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie nicht gut beraten werden oder der Mitarbeiter nicht qualifiziert ist, nehmen Sie das Hilfsmittel nur unter Vorbehalt an. Ein für Ihren Angehörigen ungeeignetes Hilfsmittel kann zu Nebenwirkungen und Folgeschäden führen.

Seien Sie bei Pauschalaussagen des Lieferanten über die Eignung bestimmter Matratzentypen wie Schaumstoff-Weichlagerungen besonders kritisch. Generell lässt sich sagen, dass hochwertige Schaumstoff-Matratzen zur Dekubitusvorbeugung bei teilmobilen Patienten, die ihre Liegeposition noch verändern können, gut geeignet sind. Immobile Hochrisikopatienten mit schweren Grunderkrankungen oder bereits bestehenden Dekubitalgeschwüren sind hingegen besser mit energetischen, luftgefüllten Matratzensystemen versorgt.

Lassen Sie sich vom Lieferanten in jedem Fall einen kostenlosen Austausch des Hilfsmittels bei Unverträglichkeit oder einer Dekubitusentstehung zusichern. Lagerungs- und Mobilisationshilfsmittel sollten Sie in jedem Fall im praktischen Einsatz testen dürfen.