Richtige Weichen stellen

Dekubitus – das Titelthema der Altenpflege online im Januar 2016: Statt drastisch zu sinken, steigen die Zahlen von Heimbewohnern mit Dekubitus weiter an. Das weist auf strukturelle Probleme in deutschen Pflegeheimen bei der Prävention hin.

 Die Diagnose „Dekubitus“ gilt bis auf wenige medizinisch-pflegerische Ausnahmesituationen als vermeidbar. Dennoch ist die Anzahl der Menschen, die in Deutschland jährlich ein oder mehrere Dekubitalgeschwüre entwickeln, in den letzten sieben Jahren um 48 Prozent von 310 000 auf 460 000 gestiegen.

Während die Entstehung eines Dekubitus im häuslichen Wohnumfeld mit der oft fehlenden, ganztägigen pflegerischen Betreuung erklärbar ist, konstatieren führende Pflegewissenschaftler der Charité-Universitätsmedizin wie Dr. Nils Lahman, dass Druckgeschwüre ganz aus unseren Pflegeheimen verschwinden müssten. Prävalenzraten bei immobilen, bettlägerigen Bewohnern von mehr als 14 Prozent und Fallzahlen in der stationären Pflege zwischen 50 000 und 70 000 pro Jahr deuten daher auf erhebliche strukturelle Defizite bei der Dekubitusprävention in deutschen Pflegeheimen hin.

Erläuterungen zur Datenbasis

Die Aussagen in diesem Beitrag basieren einerseits auf den Versorgungserfahrungen eines Teams von 20 examinierten Pflegekräften, die jährlich mehr als 10 000 Patientenversorgungen mit Antidekubitus-Hilfsmitteln durchführen, davon circa 2 500 Versorgungen in bundesweiten Pflegeeinrichtungen. Gegenstand dieser Versorgungen sind unter anderem ein Gespräch mit den Pflegenden vor Ort über den Patientenstatus und eine ausführliche Dokumentation der Risikosituation des Bewohners in einem Erhebungsbogen.

Andererseits ist die Datenbasis für die nachfolgenden Angaben die spezielle Auswertung von 600 Fällen, bei denen infolge einer Veränderung des Dekubitusrisikos eine Umversorgung der vorliegenden Hilfsmittel im Pflegeheim erforderlich wurde. Bei der mehrwöchigen Begleitung von 40 Pflegeheimen im Rahmen der Testung von Monitoring-Systemen zur Dekubitusrisikoeinschätzung konnten intensive Einblicke in die Dekubitusprävention von Einrichtungen gewonnen werden und in den vorliegenden Artikel einfließen.

Anmerkung des Autors Patrick Kolb

Eine pauschale, undifferenzierte Kritik der Dekubitusprävention in der stationären Pflege liegt dem Autor fern, da es Einrichtungen gibt, die sich verantwortungsvoll, gut organisiert und kompetent mit diesem wichtigen Pflegethema auseinandersetzen und hier eine wirkungsvolle Vorsorge leisten. Die flächendeckend vor Ort festgestellten Wissens- und Handlungsdefizite und schließlich die hieraus resultierende Ergebnisqualität haben aber ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Alarmierend ist vor allem die Entwicklungstendenz der letzten beiden Jahre. Der Artikel soll daher als„Hilferuf“ und Appell an die Erfüllung pflegerischer Grundaufgaben verstanden werden. Aus ethischen, juristischen und wirtschaftlichen Gründen ist eine Rückbesinnung auf Fachlichkeit, Handlungskompetenz und pflegerische Haltung in der Dekubitusprävention dringend erforderlich.

Ursachenfeld „Management“

Ein wesentliches Ergebnis aus der Erhebung zum vorliegenden Artikel ist, dass die beste Dekubitusprophylaxe in gut ausgebildetem und motiviertem Personal besteht. Die Qualifizierung des Personals in Kernthemen der Versorgung und das Schaffen von Rahmenbedingungen, in denen Mitarbeiter mit Leidenschaft und Interesse die täglichen Herausforderungen in der Pflege bewältigen, ist Aufgabe des Managements.

Investition in Wissen

In der Praxis zeigt sich, dass in den Einrichtungen kaum Schulungen zum zentralen Pflegethema „Dekubitus“ durchgeführt werden. Finden Fortbildungen statt, handelt es sich dabei sehr häufig um wenig objektive, meist kostenlose Produktschulungen der Industrie, was sich im Bereich der Antidekubitus-Hilfsmittel zunehmend negativ auswirkt. Oft entsteht vor Ort der Eindruck, dass die Schulungsveranstaltungen nur einen Nachweiszweck im Rahmen des QM-Systems oder gegenüber dem MDK erfüllen sollen und nicht das Ziel einer besseren Handlungskompetenz in der täglichen Pflegepraxis haben. Bei allem Verständnis für den Kostendruck in der stationären Pflege müssen vom Management ausreichende Geldmittel für qualifizierte, neutrale Schulungen in wichtigen Handlungsfeldern investiert werden. Die sich hieraus ergebende Fachkompetenz ist wichtige Basis für eine erfolgreiche Dekubitusprävention.

Risikofaktor Nacht

In die Verantwortung des Managements fällt auch die Bereitstellung ausreichender Personalressourcen. Die aktuell veröffentlichte Studie „Die Nacht in deutschen Pflegeheimen 2015“ besagt, dass sich eine Pflegekraft nachts im Schnitt um 52 Bewohner kümmern muss. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Anzahl von Pflegeheimbewohnern mit Dekubitusrisiko und der Tatsache, dass bei bestimmten Krankheitsbildern in der Nacht ein höheres Risiko besteht als am Tage – also intensivere Maßnahmen notwendig sind –, ist die Erbringung der notwendigen, druckentlastenden Umpositionierungen bei dieser Personalausstattung theoretisch nicht möglich.

In den ausgewerteten Monitoring- Projekten konnte dann auch nachgewiesen werden, dass Lagerungsmaßnahmen bei Risikopatienten in der Nacht in vielen Fällen zwar dokumentiert, aber nicht durchgeführt wurden. Sicher besteht bei allen Beteiligten Konsens darin, dass die körperliche Unversehrtheit des Bewohners nicht betriebswirtschaftlichen Erwägungen zum Opfer fallen darf. Etwas zu dokumentieren, das gar nicht leistbar ist, muss aber zumindest als fahrlässig bewertet werden. Das Argument, dass ja nachts wegen der Ruhe des Bewohners nicht mehr gelagert werden soll, kann nicht verallgemeinert werden. Es ist unerlässlich, Bewohner mit einem hohen Dekubitusrisiko auch in der Nacht ausreichend zu lagern.

Einheitsversorgung

Bei der täglichen Versorgung von Antidekubitus-Hilfsmitteln in Pflegeeinrichtungen wird immer deutlicher, dass die pauschale, undifferenzierte Forderung des Pflegepersonals nach Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen oft nicht auf den individuellen Bedürfnissen der Bewohner basiert, sondern auf betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Hintergrund ist der deutlich geringere Aufwand, den der Einsatz von einfachen, statischen Schaumstoffmatratzen mit sich bringt. Bei energetisch betriebenen Matratzensystemen müssen Prüfungsfristen für sicherheitstechnische Kontrollen überwacht, Medizinprodukte-Handbücher geführt, Funktionskontrollen beim Eintritt in das Bewohnerzimmer vorgenommen, alle relevanten Mitarbeiter in die Anwendung geschult und schließlich Maßnahmen bei Defekten eingeleitet werden. Diesen Aufwand bei energetisch betriebenen Hilfsmitteln wollen viele Einrichtungsleiter einsparen, in dem sie einen Hausstandard vorgeben.

Vergessen wird dabei, dass es nicht um die Versorgung der Einrichtung, sondern um die des Bewohners geht. Antidekubitus-Hilfsmittel werden gemäß Expertenstandard, Hilfsmittelrichtlinien und EPUAP-Guideline individuell nach der spezifischen Grunderkrankung, den Fähigkeitsstörungen, der Mobilitätssituation und den pflegerischen Rahmenbedingungen ausgewählt. Dem entgegen alle Bewohner aus Vereinfachungsgründen nach dem Prinzip „Eine für alle“ mit Schaumstoffmatratzen versorgen zu wollen, die anschließend in keiner Weise näher spezifiziert werden, ist fachlich nicht haltbar und fahrlässig. Gleiches gilt für die zunehmende Ablehnung hochwertiger Luftkammerkissen in der Dekubitusversorgung. Hier scheint bereits die regelmäßige Einstellungsprüfung und Nachjustierung für die Pflege einen zu hohen Aufwand zu bedeuten.

Unzureichende Ausstattung

Ebenfalls kritisch ist, dass im Rahmen der Hilfsmittelversorgung keine ganzheitliche Betrachtung des Bewohners stattfindet. Häufig wird die Verordnung von Antidekubitusmatratzen angefordert, dem Dekubitusrisiko des Bewohners beim Sitzen aber nicht mit Hilfsmitteln entgegengewirkt. Auffällig ist, dass wichtige ergänzende Hilfen zur Dekubitusprävention, wie Positionierungskissen, die von den Einrichtungen selber finanziert werden müssen, oft nicht vorhanden sind. Kippt der Bewohner nach einer Umlagerung mangels Körperkraft wieder in die vorher belastete Ausgangs- position zurück, erhöht sich das Dekubitusrisiko um ein Vielfaches. Hier fehlen einfache kostengünstige Hilfen, um einem Dekubitus vorzubeugen.

Als Argument für die mangelnde Anwendung solcher Hilfen werden fachlich nicht haltbare Allgemeinaussagen angeführt, wie etwa, dass man laut MDK keine Lagerungskissen mehr einsetzen solle. Ebenso mangelt es in der Pflege an leichten, bauschigen Bettzudecken, die Feuchtigkeit vom Bewohner ableiten, ein warmes, angenehmes Bettklima schaffen und damit für einen trockenen, erholsamen Schlaf sorgen, der das Dekubitusrisiko senkt.

Handlungsempfehlungen

  • Investieren Sie in neutrale, unabhängige Fachschulungen.
  • Leiten Sie Ihre Personalressourcen für die Nacht aus den notwendigen pflegerischen Handlungsmaßnahmen in diesem kritischen Zeitraum ab.
  • Vermeiden Sie eine fahrlässige Vereinheitlichung der Hilfsmittelversorgung und lassen Sie eine bewohnerindividuelle Auswahl zu.
  • Stellen Sie wichtige ergänzende Hilfsmittel zur Verfügung, die bei der Dekubitusprävention oft entscheidend sein können.

Ursachenfeld „Sachkenntnis und Handlungskompetenz“

Obwohl Studien belegen, dass ein hoher Prozentsatz der Pflegeheime in Deutschland einen Standard zur Dekubitusprophylaxe eingeführt hat, spiegeln sich solche Leitlinien nicht im Wissensstand und der Handlungskompetenz der Mitarbeiter wider, die direkt am Bewohner arbeiten. Es fehlt in dramatischem Ausmaß an Basiswissen zur Dekubitusentstehung, zur Risikobewertung von Bewohnern und daraus abzuleitenden Rückschlüssen für die Präventionsmaßnahmen. Nicht selten äußerten Pflegende in der Erhebung, dass seit mehr als zehn Jahren keine Schulung mehr zum Thema „Dekubitus“ durchgeführt wurde.

Die nicht ausreichende Kompetenz und Zeit zu einer fachgerechten Risikobeurteilung führt dazu, dass bei Veränderungen des Bewohnerzustandes und einer damit einhergehenden Risikosteigerung not- wendige Anpassungen der Pflegeplanung ausbleiben. Dieser Mangel ist häufig die Ursache für das plötzliche Entstehen eines Dekubitus. Die Mobilitäts- und Krankheitssituation eines Bewohners kann sich täglich verändern und damit auch sein individuelles Dekubitusrisiko. Ein irgendwann festgelegtes Lagerungsintervall oder eine in der Vergangenheit eingesetzte Antidekubitusmatratze sind dann möglicherweise nicht mehr geeignet.

Schwerwiegende Wissensdefizite

Wissen über die Wirkprinzipien und den Einsatz von Hilfsmitteln ist nicht in ausreichendem Maße vorhanden, um dieses Handlungsfeld zur Dekubitusprävention im Interesse des Bewohners zielorientiert mit zu gestalten. In den Erhebungen zur Hilfsmittelversorgung werden von Seiten der Pflegeheime überwiegend unreflektierte, allgemeine Aussagen aus Produktschulungen, MDK-Begehungen oder prozesskostenorientierte Vorgaben der Heimleitung geäußert, die eine individuelle Versorgung des Bewohners sehr oft negativ beeinträchtigen. Auffällig ist, dass das Beharren auf diesen Vorgaben immer aggressiver ausfällt und ein sachlicher Dialog zur Auswahl geeigneter Hilfsmittel immer schwieriger wird.

Insbesondere bei Pflegehelfern mangelt es an der Fähigkeit, einen Dekubitus bzw. seinen Schweregrad zu erkennen und hautschonende Lagerungs- und Transfertechniken anzuwenden. Ein handtellergroßer Dekubitus Kategorie III nach EPUAP wird schnell als „kleine Wunde, die am Heilen ist“ oder „Feuchtigkeitswunde“ abgetan. Bei der Bewertung ausreichender Lagerungsmaßnahmen wird der grundsätzlich sinnvolle Ansatz der Mikrolagerung oft falsch verstanden und als Ersatz für die Makrolagerung gesehen. Diese Wissensdefizite führen dazu, dass trotz der pflegerischen Präsenz im Pflegeheim die grundlegende Kernaufgabe der Dekubitusprävention häufig nicht ausreichend geleistet werden kann.

Handlungsempfehlung

  • Bilden Sie einen Dekubitus-Fachexperten in Ihrer Einrichtung aus, der alle Pflegenden auf dem neuesten Kenntnisstand halten kann. Er insbesondere Unterstützung dabei leisten, das Risiko der Bewohner wiederkehrend richtig einzuschätzen.
  • Ein Mitarbeiter der in diesem wichtigen Pflegethema kontinuierlich Kompetenz und Erfahrung aufbaut, kann sich fachlich mit Sanitätshäusern, Krankenkassen, MDK und Heimaufsicht auseinandersetzen und dadurch eine zweckmäßige Versorgung Ihrer Bewohner sichern.

Ursachenfeld „Hilfsmittelversorgung“

Aufgrund der bereits angeführten kritischen Festlegung von sogenannten „Hausstandards“, einer falschen „Hörigkeit“ gegenüber Allgemeinaussagen von MDK-Prüfern und schließlich der minderen Produktqualität, die durch externe Lieferanten zur Verfügung gestellt wird, ist die Hilfsmittelversorgung zur Dekubitusprävention in stationären Pflegeeinrichtungen überwiegend nicht bedarfsgerecht.

Schwarz-Weiß-Denken

Bezogen auf die Einsatzoptionen von Antidekubitus-Matratzen herrscht ein Schwarz-Weiß-Denken, das sich auf die Frage „Schaumstoff-Weichlagerung oder Wechseldruck“ reduziert. Diese falsche Sichtweise verstellt den Blick auf die individuelle Versorgung des Bewohners. Es gibt bei beiden Matratzenarten eine Vielzahl von Produkten mit unterschiedlichen Leistungsmerkmalen und vor allem erhebliche Qualitätsunterschiede. Es ist aus fachlicher Sicht inakzeptabel, dass Einrichtungen pauschal eine „Schaumstoffmatratze“ fordern, ihnen aber dann deren Ausstattung und Zustand gleichgültig zu sein scheinen. Aus dem individuellen Bewohnerprofil ergeben sich aber immer konkrete Anforderungen an Aufbau und Konfiguration einer Matratze, die in der Praxis kaum bekannt sind. Zum Verständnis des Problembereiches Schaumstoffmatratzen sind die Mindeststandards und Qualitätsanforderungen der österreichischen Gesellschaft für Dekubitusprävention „APUPA“ und die regelmäßigen Aussagen der „Stiftung Warentest“ zu viskoelastischen Matratzen oder „Superweichlagerungen“ hilfreich.

Kritisch zu bewerten ist auch, dass im Markt viele minderwertige Wechseldruckmatratzen vertrieben werden, die andere Therapieziele des Bewohners beeinträchtigen können. Es ist aber grundlegend falsch, deswegen pauschal statischen Schaumstoff zu fordern, der in der spezifischen Bewohnersituation ebenso Nachteile für den Bewohner haben und aus rein physikalischen Gründen oft keine nachhaltige Druckverteilung leisten kann. Für eine erfolgreiche Dekubitusprävention ist es elementar, in jedem Bewohnerfall eine Abwägung und Priorisierung der Therapieziele vorzunehmen, was grundsätzlich in die Zuständigkeit des behandelnden Arztes fällt.

In der Praxis entstehen häufig Dekubitalgeschwüre, weil vagen, nicht konkretisierbaren und teilweise auch mythisch anmutenden Nebenwirkungen der Vorrang vor einer wirkungsvollen Druckentlastung gegeben wird. Im Bereich der Arzneimittel wäre es undenkbar, dass die Pflege ein Medikament wegen Nebenwirkungen nicht verabreicht. Bei Medizinprodukten wie Antidekubitus-Hilfsmitteln werden in der Pflegeheimpraxis hingegen ohne Bedenken ärztliche Verordnungen verändert, um nebulöse Nebenwirkungen zu vermeiden.

Sinnvolle Alternativen einsetzen

Wichtig zu wissen ist, dass Antidekubitus-Matratzen erhältlich sind, die weder aus Schaumstoff bestehen noch dem klassischen Wechseldruckprinzip entsprechen. Sie gleichen häufig die Nachteile der beiden Standardtechnologien aus und sind bei immobilen Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen gut geeignet. Dazu gehören energetisch kontrollierte Weichlagerungssysteme, Matratzen mit sanftem, vertikalem Druckwechsel oder Schaumstoff-Luft-Kombinationssysteme.

Handlungsempfehlungen

  • Gehen Sie objektiv an die Fragestellung heran, welche Matratze für Ihren Bewohner geeignet ist.
  • Die Matratzenauswahl sollte entsprechend dem Expertenstandard patientenindividuell, das heißt abhängig von der Mobilität des Bewohners, seinen Grunderkrankungen und Fähigkeitsstörungen sowie seinen sonstigen Risikofaktoren erfolgen.
  • Stimmen Sie daher auf Basis der ärztlichen Verordnung und der sorgfältigen Abwägung der Therapieziele im Dialog mit dem Fachhandelsunternehmen die richtige Versorgung für Ihren Bewohner ab.
  • Nehmen Sie keinen bewohnerbelastenden Dekubitus in Kauf, um nicht belegte, in der Pflege kursierende Mythen zu bedienen.

Ursachenfeld „Pflegerische Haltung“

Im Vorwort der gerade erschienenen Aktualisierung des Expertenstandards „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ wird die ausgezeichnete Versorgung zweier Patienten durch eine Pflegefachexpertin beschrieben. Es wird eindrucksvoll dargestellt, wie die Einbeziehung der Lebensführung und der Persönlichkeit des Patienten – verbunden mit der wundspezifischen Expertise – zum Therapieerfolg führt. Auf die Frage, wie sie vor dem Hintergrund von Zeitdruck und ökonomischen Rahmenbedingungen eine solche Versorgung leisten könne, antwortete die Wundexpertin, es sei „eine Frage der pflegerischen Haltung“.

Bei der täglichen Arbeit mit Pflegeeinrichtungen ist zunehmend festzustellen, dass die zweifelsohne schwierigen Rahmenbedingungen vieles überlagern. Die Frustration über die Arbeitsbedingungen, die bei kritischen Dialogen teilweise in Aggressivität gegenüber den externen Dienstleistern ausschlägt, beeinträchtigt immer mehr die wichtige Zusammenarbeit aller Beteiligten zum Wohle der Bewohner, die für die Rahmenbedingungen nichts können. Es ist beängstigend festzustellen, dass sich oft niemand fragt, wie es zu einem hochgradigen Dekubitus kommen konnte. Häufig ist es so, dass die vermeidbare Diagnose als Normalität oder als schicksalhafter Verlauf akzep- tiert wird.

Abschließend wird ausdrücklich betont, dass es nicht um einen Schuldvorwurf an die Pflege geht, sondern einfach um die Aufforderung, mit objektiv notwendigen Maßnahmen Schaden vom Bewohner abzuwenden. Es ist unzweifelhaft, dass interne Personalknappheit und externe Einflussgrößen wie der MDK, Krankenkassen oder Fachhändler die Umsetzung einer erfolgreichen Dekubitusprävention erschweren. Der geschuldete Pflegestandard ist aber nicht an möglicherweise fehlenden Ressourcen zu messen, sondern am berechtigten Interesse des Heimbewohners, seine körperliche Integrität zu erhalten.