So bekommen Sie das richtige Hilfsmittel

Die Versorgung von Betroffenen mit Dekubitushilfsmitteln wie Sitzkissen scheint, von außen betrachtet, nach einem Verfahren abzulaufen, auf das Betroffene und Angehörige wenig Einfluss haben. Häufig liefern Sanitätshäuser die Hilfsmittel ohne Bedarfsfeststellung und Beratung einfach nur aus. Mit dem entsprechenden Wissen und den richtigen Fragen, können Sie für sich oder Ihren Angehörigen eine gute Hilfsmittelversorgung erzielen.

Artikel: So bekommen Sie das richtige HilfsmittelMenschen, die bei einer Krankenkasse versichert sind und aufgrund ihrer Mobilitätseinschränkungen ein druckentlastendes Hilfsmittel benötigen, haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene, zweckmäßige und individuelle Versorgung mit zum Beispiel einer Matratze, einem Sitzkissen oder einer Lagerungshilfe. Weniger bekannt ist, dass der Anspruch auch die Prävention mit einschließt. Im konkreten Fall heißt das: Droht etwa das Entstehen einer Wunde (Dekubitus), kann ein Versicherter solch ein Hilfsmittel auch vorbeugend in Anspruch nehmen.

„Eines für alle gibt es nicht“

Um das jeweils richtige Sitzkissen oder die optimale Matratze für eine Dekubitusprävention oder -versorgung bestimmen zu können, ist eine umfassende, individuelle Bedarfsermittlung beim Anwender erforderlich. Und das aus gutem Grund: „Das eine Produkt, das in jedem Fall passt, gibt es nicht“, sagt Patrick Kolb, Vorsitzender der Fachvereinigung Medizin Produkte e. V. (f.m.p.), Köln, und Geschäftsführer der Carenetic GmbH, Gummersbach, die auf das Thema Dekubitusmanagement spezialisiert ist.

„Die richtige Auswahl hängt von vielen individuellen Faktoren ab.“ Viele Betroffene, die nur geringfügig in ihrer Mobilität eingeschränkt seien und ein niedriges bis mittleres Risiko hätten, sich wund zu sitzen, können mit einem relativ preisgünstigen Sitzkissen aus Schaumstoff, das zur Standardversorgung gehört, gut versorgt sein, sagt Patrick Kolb. Andere Menschen mit spezifischen Bedürfnissen, die sich zum Beispiel selbst gar nicht mehr entlasten können, seien auf hochwertigere Produkte angewiesen. Oder natürlich auf ein Produkt, das auf dieser Skala dazwischen liegt. Was eben im konkreten Fall zweckmäßig ist.

Begleitende Therapieziele berücksichtigen

Die Wahl des richtigen Hilfsmittels erfordert viel Know-how von den Leistungserbringern. Doch Branchenexperten stellen schon seit langem einen zunehmenden Kompetenzverlust fest. Auch umfassende Bedarfsermittlungen mit sorgfältiger Dokumentation durch ausgebildete Fachkräfte seien inzwischen eher die Ausnahme. Während Versicherte in einer Rehaklinik meist noch von Therapeuten mit Hilfsmittelkompetenz gut auf den Weg gebracht würden, seien Betroffene zuhause oder in Pflegeeinrichtungen unzureichend beraten und nicht bedarfsgerecht versorgt, sagt Patrick Kolb. Die Ursachen und Zusammenhänge seien an dieser Stelle dahingestellt. Die laut Branchenverbänden in den letzten zehn Jahren um mehr als 70 Prozent gesenkten Erstattungspreise für Hilfsmittel sprechen für sich. Die Politik kennt die Schwächen im System und hat erst kürzlich das neue Heil- und Hilfsmittelgesetz (HHVG) erlassen, das die Hilfsmittelversorgung stärker an Qualitätszielen ausrichten will.

Was Betroffene und ihre Angehörigen tun können

  • Informieren Sie sich gründlich, welche Hilfsmittel es gibt und für welche Bedürfnisse sie geeignet sind.
  • Bestehen Sie darauf, dass der Leistungserbringer sie bei einer persönlichen Bedarfsermittlung umfassend informiert und Alternativen aufzeigt. Das HHVG stärkt Ihnen dafür den Rücken.
  • Versuchen Sie, für einen gewissen Zeitraum ein Umtauschrecht zu vereinbaren, falls sich das ausgewählte Sitzkissen als ungeeignet herausstellen sollte.
  • Der Arzt darf grundsätzlich nur die Produktobergruppe verordnen. Hält er es aber aus medizinischen Gründen für erforderlich, ein ganz bestimmtes Hilfsmittel einzusetzen, kann er dieses mit entsprechender Begründung verordnen. Hilfsmittel belasten nicht das Budget des Arztes.
  • Es gibt einen Anspruch auf präventive Versorgung mit Hilfsmitteln gegen Dekubitus und unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Zweitversorgung.
  • Zur wirtschaftlichen Versorgung durch die Kassen gehört, dass sie bei zwei gleichwertigen Kissen das günstigere genehmigen können.
  • Ergreifen Sie auch unterstützende Maßnahmen wie regelmäßige Hautbeobachtung, BewegungsförderungVermeidung von Reibung bei Lagerung und Transfer sowie Hautpflege.

Eine berechtigte, hochwertige Versorgung mit Antidekubitushilfsmitteln wird oftmals nicht einfach zu erreichen sein. Doch als informierter Gesprächspartner haben Sie es allemal leichter, Ihre Situation und Ihre Bedürfnisse darzulegen. Und wenn gar nichts geht, bleibt noch, sofern vorhanden, eigene finanzielle Mittel einzusetzen. Der Gewinn an Lebensqualität kann gar nicht hoch genug geschätzt werden.

Dieser Artikel wurde im Ratgeber MOBITIPP „Sitzen & Positionieren“ veröffentlicht (Autorin: Julia Wagner); Infos und Bestellmöglichkeit unter www.mobitipp.de.

HHVG: Was besser werden soll

Das neue Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG), dessen Regelungen überwiegend zum 1. April 2017 in Kraft getreten ist, soll unter anderem die defizitäre Hilfsmittelversorgung der Versicherten verbessern. So weitet das HHVG die Beratungsverpflichtung der Leistungserbringer aus und verpflichtet die Krankenkassen                          spielen künftig auch Qualitätskriterien eine Rolle. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ist außerdem verpflichtet, das Hilfsmittelverzeichnis bis zum 31. Dezember 2018 grundlegend fortzuschreiben.

Patrick Kolb, Vorsitzender der Fachvereinigung Medizin Produkte e. V. (f.m.p.), Köln, begrüßt das neue HHVG ausdrücklich, bleibt aber skeptisch: „Der Gesetzgeber kann nur die Rahmenbedingungen schaffen. Die Frage ist, ob die Beteiligten wirklich den politischen Willen umsetzen wollen. Wie sichern die Krankenkassen die Ergebnisqualität der Hilfsmittelversorgung? Wie setzt der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen die Modernisierung um? Erste Reaktionen einzelner Krankenkassen deuten darauf hin, dass Wege gesucht werden, die Bestimmungen des HHVG zu umgehen, anstatt die Versorgungsqualität für ihre Mitglieder zu sichern.“